Tönisvorst "Schreiben ist wie Küssen, nur ohne Lippen"

Tönisvorst · Mit einer Mischung aus Lesung und Schauspiel begeistern Ann-Cathrin Sudhoff und Ralf Bauer in "Gut gegen Nordwind" nach dem gleichnamigen Roman von Daniel Glattauer rund 550 Zuschauer im Corneliusforum.

 Ann-Cathrin Sudhoff und Ralf Bauer als Emmi und Leo im Stück "Gut gegen Nordwind". Diese Produktion der Komödie im Bayerischen Hof, München, hat Wolfgang Kaus inszeniert.

Ann-Cathrin Sudhoff und Ralf Bauer als Emmi und Leo im Stück "Gut gegen Nordwind". Diese Produktion der Komödie im Bayerischen Hof, München, hat Wolfgang Kaus inszeniert.

Foto: Loredana LaRocca

Langanhaltender Applaus für die großartigen Schauspieler und langanhaltende Diskussionen in der Schlange vor der Garderobe über dieses abrupte Ende der Geschichte sind die Bilanz des Schauspiels "Gut gegen Nordwind", zu dem der Stadtkulturbund Tönisvorst am Sonntagabend ins Corneliusforum einlud. Mit 550 Gästen war die Mischung aus Lesung und Schauspiel ausverkauft und die Zuschauer wurden nicht enttäuscht.

Mit viel Witz, Charme und sehr schlagfertig beginnt die 34-jährige Emmi Rothner - mit der Schauspielerin Ann-Cathrin Sudhoff hervorragend besetzt - eine E-Mail-Beziehung mit dem etwa gleichaltrigen und nicht minder sprachgewandten und humorvollen Leo Leike, in dessen Rolle der bekannte Fernsehschauspieler Ralf Bauer schlüpft. Was als lustiger, schriftlicher Austausch beginnt, steigert sich immer mehr in einen knisternden Flirt und wird schließlich zu einer Art virtueller Liebe voller Leidenschaft, wobei die beiden Protagonisten sich trotz einiger Versuche, sich zu treffen, tatsächlich nie begegnen.

Beide scheuen davor zurück, denn Emmi ist verheiratet, und Leo fragt sich, wohin eine Begegnung führen würde. "Sie suchen etwas", schreibt Leo, "nennen wir es ein Abenteuer. Wer ein Abenteuer sucht, erlebt gerade keines. Stimmt's?" Emmi hält dagegen, sie wolle ihrem "Mail-Vertrauten" einfach mal in die Augen schauen, aber der Zuschauer weiß längst, dass Emmi auf dem besten Weg ist, sich Hals über Kopf in Leo zu verlieben. Unzählige E-Mails gehen hin und her, werden immer persönlicher, und aus dem anfänglichen Spiel mit Worten werden handfeste Gefühle, denn: "Schreiben ist wie Küssen, nur ohne Lippen.".

Wer sich schon beim Roman, den der österreichische Journalist Daniel Glattauer 2006 veröffentlicht hat, fragte, wie jemand mit einer solchen Handlung ein ganzes Buch füllen und die Spannung halten will, der wird sich diese Frage bei der Bühnenfassung auch gestellt haben. Tatsächlich funktioniert es. Die Sprachgewalt der Vorlage, einige originelle Einfälle, wie die Idee, Emmi und Leo zur gleichen Zeit in einem Café erscheinen zu lassen, und ein paar unerwartete Wendungen tragen die Geschichte auch auf der Bühne über die Spielzeit von gut 90 Minuten.

Das Bühnenbild ist dabei einfach gestaltet und kommt mit wenigen Requisiten aus. Während Ann-Cathrin Sudhoff auf der rechten Bühnenseite an einem Holzschreibtisch mit Laptop und Rotwein sitzt und ihre Mails laut vorliest, sitzt Ralf Bauer auf der linken Bühnenseite an einem modischen Stahlrahmentisch mit Laptop und Weißwein und trägt seine klugen Zeilen vor. Zwei identische Betten stehen in der Mitte des Raumes mit den Kopfteilen aneinander. Und natürlich sind die beiden Darsteller immer auch in Bewegung, was der "Lesung" die Statik nimmt.

Bei aller Romantik, die das Stück mit sich bringt, gibt es kein Happy End. Das Treffen, auf das die gesamte Geschichte zusteuert, platzt in letzter Minute, weil Emmis Mann Bernhard von der E-Mail-Liebe erfahren hat. In einer letzten Mail schreibt Emmi: "Leo, es ist etwas geschehen. Mein Gefühl hat den Bildschirm verlassen. Ich glaube, ich liebe dich. Und Bernhard hat es gespürt. Wie tun wir weiter?" Zehn Sekunden später wird die Antwort auf die Bühne projiziert: "Achtung. Geänderte E-Mail-Adresse. Der Empfänger kann seine Post unter der gewählten Adresse nicht mehr aufrufen. Neue E-Mails im Posteingang werden automatisch gelöscht." Ein Ende, das die Zuschauer verstört zurücklässt. Auch bei den Lesern des Romans war das 2006 nicht anders. Daniel Glattauer entschloss sich 2009, mit "Alle sieben Wellen" eine Fortsetzung zu schreiben.

(WS03)
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