Tönisvorst Mit Versprechungen zum Terror gelockt

Tönisvorst · Eine Frau, ein Offizier des IS und deren Rekrutierungsmethoden: Mit "Undercover Dschihadistin" vom Westfälischen Landestheater hat der Stadtkulturbund ein aufrüttelndes, aktuelles Stück ans Michael-Ende-Gymnasium geholt.

 Das Stück zeigt, was die französische Journalistin Erelle als Mélody erlebte. Sie ließ sich vom IS rekrutieren, um über die Methoden der Terrororganisation zu berichten.

Das Stück zeigt, was die französische Journalistin Erelle als Mélody erlebte. Sie ließ sich vom IS rekrutieren, um über die Methoden der Terrororganisation zu berichten.

Foto: Volker Beushausen WLT

"Hör mir zu. Ich liebe dich", völlig unerwartet erklingt die Stimme aus dem Nichts. Wo eben noch Schüler im völlig abgedunkelten Forum Corneliusfeld kichernd und erzählend saßen, ist plötzlich Stille eingekehrt. Ein einzelner Lichtstrahl fällt auf eine Frau mit Kopftuch, die auf einem Stuhl sitzt und der eindringlichen, körperlosen Stimme zuhört. Sie erzählt davon, dass sie die Frau beschützen werde und dass eine einzige große Familie auf sie warte, in der jeder seinen Platz habe. "Liebst du mich wirklich?", ist die leise Frage der Frau zu hören, bevor erneut Dunkelheit einsetzt. Bedrückende Musik erklingt.

Die nächsten Lichtspots geben den Blick auf zwei Personen frei, die in einer hitzigen Diskussion stecken. Dem Zuhörer wird klar: Es geht um einen Artikel, den die Frau geschrieben hat und von dem der Mann sich wünscht, dass er nicht erscheint, weil es um seine Tochter geht. "Sie ist meine Tochter. Ich kann sie nicht im Stich lassen. Sie ist bereit, für alles zu sterben. Der Tod hat keinen Schrecken mehr für sie", ruft der Mann mit völligen Unverständnis aus. Schon der Beginn des Theaterstücks "Undercover Dschihadistin" packt die Neuntklässler des Michael-Ende-Gymnasiums, die im Forum sitzen.

Die Aufführung nimmt die Schüler mit in eine Welt, deren Gegenwart förmlich spürbar ist. Denn das, was da vorne gespielt wird, ist keine Fiktion, sondern erlebte Wirklichkeit. Nach dem Werk von Anna Erelle setzt das Westfälische Landestheater die Rekrutierungsmethoden des sogenannten Islamischen Staates, dem IS, in den Mittelpunkt. Mirka Ritter spielt dabei die Journalistin Anna, die als Mélody auf die Rekrutierung zum Schein eingeht, um genau diese Methoden aufzudecken. Andreas Kunz ist in der Rolle des besorgten Vaters zu erleben, dessen Tochter der IS in die Fänge bekommen hat. Zugleich spielt er Annas Freund, der sie bittet, das Vorhaben abzubrechen, weil es ihm einfach als zu gefährlich erscheint. Neven Nöthig verkörpert hingegen Abou Bilel, einen ranghohen Offizier des IS, der versucht, Menschen für den Terror anzuwerben.

Die Schüler erleben aufrüttelnde Szenen und Wechsel zwischen den einzelnen Abschnitten, die als Verknüpfungen mit viel Dramatik einhergehen. Ob mit Dunkelheit und Musik begleitete Szenenwechsel oder Schauspielerin Mirka Ritter, die sich im Zwielicht vor den Zuschauern von Anna in Mélody verwandelt - das Stück packt selbst in diesen Momenten ohne Worte.

An Requisiten braucht "Undercover Dschihadistin" nicht viel: ein rotes Sofa, auf dem mit einem Glas Wein in der Hand die Gespräche zwischen Anna und ihrem Freund stattfinden, ein gigantischer, frei im Raum schwebender Fernseher, aus dem Bilel spricht, ein Stuhl, auf dem Mélody sitzt, eine Kommode, hinter der Mélody steht. Die perfide Vorgehensweise, das Ansetzen an Punkten, die gerade junge Menschen tangieren und die Zweifel an ihrem eigenen Leben in ihnen wachrufen - das Stück zeigt schonungslos, wie die Rekrutierung läuft.

Mélody, am Anfang noch hinterfragend, saugt die Worthülsen wie ein Schwamm auf. Bilel vermittelt ihr das Gefühl, jemand zu sein - und das insbesondere, wenn sie sich dem IS anschließt. Er verspricht eine glückliche Zukunft mit wichtigen und richtigen Werten. Er präsentiert ihr Perspektiven, die der jungen Frau als wünschenswert erscheinen.

Es ist keine erfundene Geschichte, sondern das, was die französische Journalistin Erelle als Mélody erlebte. Und genau das macht das Stück so erschreckend realitätsnah und bewegt die Schüler, wie sich im Nachgespräch mit den Mitarbeitern des Westfälischen Landestheaters zeigt.

(tref)
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