Tönisvorst Angekommen am Ziel, das gar keins war

Tönisvorst · Die Rheinische Post stellt in loser Folge Menschen vor, die vor Krieg, Verfolgung, Elend und Armut geflohen sind. Sie erzählen, warum sie ihre Heimat verlassen haben, welche Hoffnungen sie haben, wie sie in Deutschland leben.

 Vorst ist jetzt die neue Heimat für Mamadou Bachirou Diallo. Der 21-jährige Flüchtling aus Guinea in Westafrika hat jetzt einen Praktikumsplatz im Vorster Radsportzentrum "Better Bilkes" erhalten.

Vorst ist jetzt die neue Heimat für Mamadou Bachirou Diallo. Der 21-jährige Flüchtling aus Guinea in Westafrika hat jetzt einen Praktikumsplatz im Vorster Radsportzentrum "Better Bilkes" erhalten.

Foto: WOLFGANG KAISER

Mamadou Bachirou Diallo hat keine Zeit zu verlieren. So schnell wie möglich möchte der 21-Jährige aus Guinea eine Ausbildungsstelle als Elektriker finden. Ob er in Deutschland bleiben darf, weiß der junge Mann nicht. Bisher ist er lediglich ein registrierter Flüchtling, sein Asylantrag wurde noch nicht geprüft. Aber Mamadou lässt sich davon nicht aufhalten. Mit unglaublichem Eifer hat er in den elf Monaten, die er in Vorst lebt, die deutsche Sprache gelernt und sich integriert.

"Ich war in allen Kursen, die die Ehrenamtler anbieten", erzählt der junge Mann, der aufgrund seines unsicheren Aufenthalt-Status' keinen Platz in einem offiziellen Sprachkursus bekommt. Weil Mamadou für Bewerbungen eine Bescheinigung über seine Sprachkenntnisse haben wollte, hat er auf Eigeninitiative beim Düsseldorfer Goethe-Institut die Prüfungen für das Sprachzertifikat A1 und A2 abgelegt. Und tatsächlich hat der Guineer jetzt ein Praktikumsplatz im Radsportstudio "Better Bikes" in Vorst bekommen. Auch eine Wohnung hat Mamadou sich gesucht. "Ich brauche Ruhe, um zu lernen", sagt der 21-Jährige, der beim SV Vorst Fußball spielt und davon träumt, einen Schulabschluss machen zu können und/oder einen Ausbildungsplatz zu finden. "Ich will was machen aus meinem Leben, nicht nur rumsitzen."

Dass der junge Mann aus Westafrika in Deutschland gelandet ist, ist reiner Zufall. Aufgewachsen in Guinea, lebte Mamadou seit seinem zehnten Lebensjahr im Senegal, wo er eine Koranschule besuchte und auf dem Feld arbeitete. Als seine Mutter 2010 starb, konnte er nicht zur Beerdigung, weil in Guinea Unruhen herrschten und die Grenzen geschlossen waren. Kurze Zeit später starb auch der Vater. Zunächst kümmerte sich ein Onkel um den Jungen, dann eine Freundin des Vaters. Eine Zukunftsperspektive aber sah der 15-Jährige weder im Senegal noch in Guinea. "Als mein Freund Amadou sagte, er wolle weg, irgendwo anders was aufbauen, bin ich mitgegangen."

Einen Plan hatten die beiden Jugendlichen nicht. Mit dem Bus, auf der Ladefläche eines Autos und zu Fuß irrten sie durch Mali und Niger bis sie schließlich, ohne es zu wissen, in Libyen waren. "Das Militär hat uns aufgegriffen und uns mit 100 anderen Menschen aus allen möglichen Ländern in ein Boot gesetzt", erzählt Mamadou. Trinkwasser oder Verpflegung gab es nicht. Plötzlich, auf offener See, geriet Mamadous Freund in Panik. "Er weinte und hatte Angst." Da packten einige Männer den Jungen und warfen ihn über Bord. Keiner rührte sich. "Jeder wusste, dass er der Nächste ist, wenn es eine Unruhe gibt", sagt Mamadou, der diese Geschichte bis heute nicht ohne Tränen und ohne Schuldgefühle erzählen kann.

Als die italienische Küstenwache die Menschen nach 36 Stunden auf dem Mittelmeer aufgriff, war Mamadou, der Diabetiker ist und keine Medikamente dabei hatte, krank. "Ich wollte sagen, was die Männer mit meinem Freund gemacht haben, aber ich war zu schwach." Unterzuckert und dehydriert kam der Junge in Lampedusa auf die Krankenstation. "Dann hat man uns in die Toskana gebracht", erzählt Mamadou. Wegen mangelnder medizinischer Versorgung, aus Angst und Einsamkeit lief Mamadou weg. In Freiburg wurde er von einem Passanten aufgegriffen, der ihn zu Polizei begleitete.

Über Auffanglager in Dortmund und Neuss kam der junge Mann schließlich im August 2015 nach Vorst, wo er zusammen mit 40 anderen Flüchtlingen in der Sporthalle untergebracht wurde und wo niemand Französisch sprach. Um nicht sprachlos zu bleiben, beschloss der Guineer so schnell wie möglich und so gut wie möglich Deutsch zu lernen und sich dieser fremden Heimat, in die ein seltsames Schicksal ihn geführt hatte, anzupassen. Ganz alleine musste er das nicht. "Ich habe alles Edith und Ton Mascini von der Flüchtlingshilfe zu verdanken", sagt der 21-Jährige voller Dankbarkeit für die Vorster, die den verirrten Flüchtling unterstützen.

(WS03)
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