Sebastian Manz "Vollste Hingabe und Risikobereitschaft"

Solingen · Mit dem Klarinettisten Sebastian Manz bestreitet einer der gefeiertsten jungen Instrumentalisten den Solopart beim 10. Philharmonischen Konzert. Manz hat sich ein außergewöhnlich schwieriges, aber sehr klangvolles Werk vorgenommen.

 Sebastian Manz ist am kommenden Mittwoch Solist beim 10. Philharmonischen Konzert der Bergischen Symphoniker.

Sebastian Manz ist am kommenden Mittwoch Solist beim 10. Philharmonischen Konzert der Bergischen Symphoniker.

Foto: Marco Borggreve

Herr Manz, das Klarinettenkonzert von Magnus Lindberg gilt als Herausforderung für jeden Solisten. Was fasziniert Sie daran?

Manz Die Auslotung der technischen Möglichkeiten - der Tonumfang, besonders in der hohen Lage, aber auch die Instrumentierung durch die ungewöhnlich große Orchesterbesetzung und natürlich die Klangfarben sind besonders faszinierend.

Mit seinem Farbenreichtum und den packenden Soli ist das Konzert ein Beispiel dafür, dass auch die Musik der Gegenwart einem Mozart-Hörer gefallen kann.

Manz Wir trauen dem Mozart-Hörer zu wenig zu und haben Angst, ihn zu "verschrecken". Dabei sind es meist die älteren Zuhörer, die sich von solcher Musik mitreißen lassen. Sie nehmen sich nämlich noch die Zeit, gedanklich in das komplexe Werk einzutauchen, um dann festzustellen, dass dieses Werk viel tonaler und zugänglicher ist als so manches, was vor über 100 Jahren komponiert wurde.

Kommt die Moderne im heutigen Konzertleben zu kurz?

Manz Ja und nein. Ein abendfüllendes Thema. Im Grunde würde ich grob zusammenfassen: Die Toleranz der Zuhörer nimmt ab, und die reine Provokation der Moderne wird immer krasser, nicht zuletzt durch den immer stärker werdenden medialen Einfluss. Es braucht immer eine Story oder etwas Ungewöhnliches/Schockierendes, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Moderne wird dadurch immer elitärer und entfernt sich zu stark von der Realität. Aber wie gesagt: Darüber müssten wir länger sinnieren.

Mit den Bergischen Symphonikern steht Ihnen ein Ensemble zur Seite, das sich mit Begeisterung auch der Moderne widmet. Welche Erwartungen haben Sie an die Zusammenarbeit?

Manz Ich erwarte vollste Hingabe und vor allem Risikobereitschaft, denn das Stück ist sehr schwer und erfordert von allen Beteiligten sehr viel Mut. Aber bei meinen bisherigen Erfahrungen mit dem wunderbaren Orchester wurden meine Erwartungen immer übertroffen.

Als Sohn der Pianisten Wolfgang Manz und Julia Goldstein, der Tochter des russischen Geigers Boris Goldstein, wurde Ihnen die Musik in die Wiege gelegt. Wie hat die Familie Ihren Weg beeinflusst?

Manz Durch die Förderung meiner Eltern und besonders meiner Oma Irina habe ich den nötigen, aber gesunden "Druck" von oben bekommen. Der Knabenchor Hannover und "Jugend Musiziert" spielten aber auch eine große Rolle.

Kinder bekannter Eltern versuchen ja mitunter, sich von ihnen zu emanzipieren.

Manz Bei mir war es nicht anders. Mit 15 Jahren habe ich rebelliert und wollte selbst entscheiden, wie lange ich üben sollte und was für mich gut sei. Nachdem es mir gelang, habe ich weniger geübt und bekam die Quittung in den darauffolgenden Konzerten. Auf die Qualität dieser Konzerte möchte ich lieber nicht eingehen.

Wie wichtig sind Vorbilder für Sie, wenn Sie neue Stücke erarbeiten? Kommt es Ihnen mehr auf Authentizität oder künstlerische Eigenständigkeit an?

Manz Vorbilder sind meiner Meinung nach für eine generelle musikalische Inspiration wichtig, nicht aber für das detaillierte Erarbeiten von Werken. Für eine ungefähre Orientierung sind sie sinnvoll, vor allem für Anfänger, aber von einem professionellen Musiker sollte dessen eigener Input kommen, damit es authentisch ist. Dies "zwingt" den Musiker, sich mit dem Stück viel intensiver auseinanderzusetzen. Natürlich variiert es von Werk zu Werk.

Kann es sein, dass Sie ein- und dasselbe Stück an verschiedenen Tagen, auf verschiedenen Bühnen mit anderen Ensembles anders spielen? Gibt es die ideale Interpretation?

Manz Jedes Stück klingt mit jedem Ensemble an jedem Tag und an jedem Ort anders. Hinzu kommen noch Faktoren wie das eigene Befinden oder das Material meiner Klarinettenblätter. Und genau deswegen können wir Musiker nie von einer "idealen" Interpretation sprechen, denn je nach Gefühlslage oder äußeren Umständen gibt es immer ein andere "ideale Interpretation".

Ihre Diskografie weist auch seltene Namen - etwa Hendrik Gottfried Mann, Christian Wilhelm Westerhoff, Sebastian Fuchs - und mit "In Rhythm" Ausflüge in den konzertanten Jazz auf. Ist es Ihnen wichtig, nicht nur Standards zu bedienen, sondern Vielseitigkeit zu zeigen?

Manz Gerade deshalb habe ich mich für die Klarinette entschieden. Die Vielseitigkeit an Charakteren, Klangfarben, Effekten haben mich von Anfang an begeistert. Ich kenne kein anderes Instrument, das so unterschiedlich bei jedem einzelnen Interpreten klingen kann wie die Klarinette. Und so vielseitig wie das Leben ist auch die Musik. Das versuche ich als Künstler zu vermitteln, sowohl stilistisch als auch vom Repertoire her.

Können Sie sich vorstellen, wie Friedrich Gulda eines Tages tiefer in den Jazz einzusteigen?

Manz Ja, unbedingt. Die Klarinette ist in vielen Stilen zu Hause. Das möchte ich ausnutzen. Außerdem beschäftige ich mich schon seit meiner Schulzeit mit dem Jazz. Mit Freunden habe ich früher viel gejamt und improvisiert. Vielleicht warte ich aber nicht so lange wie Herr Gulda.

Acht Jahre nach Ihrem Triumph beim ARD-Musikwettbewerb sind Sie längst zuhause bei den großen Solisten weltweit. Was war das Wichtigste, was Sie an Erfahrung mitgenommen haben?

Manz Gelernt habe ich in den Jahren, dass es wichtig ist, nie stehen zu bleiben, sondern mit Mut zur Veränderung sich ständig weiterzuentwickeln. Der mediale Einfluss in der klassischen Musik ist mittlerweile so präsent, dass wir uns nicht nur auf den Inhalt der Musik fokussieren, sondern mit guten Ideen und Konzepten den Kontakt zu Komponisten und Veranstaltern suchen sollten. Von uns Musikern wird immer mehr eine "Gesamtperformance" erwartet, die medial gut verwertet werden kann. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass bei all dem Zirkus, den wir des Öfteren für bestimmte Formate veranstalten, sich auf Dauer Inhalte und deren Qualitäten durchsetzen können. Dies hängt aber auch maßgeblich vom Konsumenten ab, denn Kunst braucht Zeit und Raum, um zu reifen und sich voll entfalten zu können. Diese Zeit nehmen wir uns leider nicht mehr.

CYRILL STOLETZKY FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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