Tröglitz und Solingen Die Wunden zweier Städte

Berlin · Nach dem Brandanschlag beginnt die Aufarbeitung in Tröglitz. In Solingen ist das 22 Jahre her. Die Folgen sind dort noch heute spürbar.

Chronologie: Fremdenfeindliche Anschläge in Deutschland
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Polizeibeamte gehen in Tröglitz von Tür zu Tür. Sie klingeln, stellen Fragen, klappern das 2700-Einwohner-Städtchen in der südlichen Provinz Sachsen-Anhalts systematisch ab. Auf den Straßen ist kaum etwas los, wenige Menschen sind unterwegs. Die Mission der Beamten ist nicht die Aufarbeitung des Brandanschlags auf ein geplantes Flüchtlingsheim, bei dem der Dachstuhl des Hauses in der Nacht zu Karsamstag völlig ausbrannte. Die Polizisten sollen die Straftat der schweren Brandstiftung aufklären.

Und das ist offenbar schwierig genug. Auch vier Tage nach dem Feuer will sich das Landeskriminalamt nicht zu Ermittlungsergebnissen äußern. Es sei noch zu früh, hieß es. Nur soviel ist klar: Am Tatort wurde Brandbeschleuniger benutzt. Die Ermittlungsbehörden haben mittlerweile 20 000 Euro Prämie für Hinweise ausgelobt, die zur Aufklärung des Falls führen.

Ein Bischof spricht von hasserfüllter Atmosphäre

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Foto: dpa, mb fdt

Unterdessen geht sie an anderer Stelle los, die Aufarbeitung des Anschlags. Politiker äußern sich oder reisen gleich nach Tröglitz - selbst aus NRW. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vize-Bundesvorsitzende der FDP, traf sich mit dem für das Tröglitzer Flüchtlingsheim zuständigen Landrat Götz Ulrich (CDU). Er hatte Morddrohungen erhalten, weil er sich nach dem Brand weiter für eine Unterbringung der Flüchtlinge eingesetzt hatte. Im März geriet der Ort erstmals in die Schlagzeilen, als der ehrenamtliche Bürgermeister Markus Nierth (parteilos) wegen Anfeindungen aus der rechtsradikalen Szene zurücktrat. Dann brannte die unbewohnte Unterkunft für 40 Flüchtlinge, eigentlich sollten sie im Mai einziehen.

Nun wird gefragt, warum es offenbar in Tröglitz besonders viel Fremdenhass gibt. Während der Innenminister Sachsen-Anhalts, Holger Stahlknecht (CDU), den großen Teil der Tröglitzer für weltoffen hält, berichtet der evangelische Regionalbischof von Halle-Wittenberg, Propst Johann Schneider, in der Zeitung "Die Welt" von einer hasserfüllten Atmosphäre. Im Ort will er wachsenden Widerstand gegen Ausländer beobachtet haben. Schneider erinnerte auch an die NS-Geschichte des Ortes, Tröglitz sei keine gewachsene Gemeinde. Tatsächlich wurde es in den 1930er Jahren als Arbeitersiedlung gegründet und war später eine Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald.

Aufarbeitung in Solingen

Brand in zukünftigem Flüchtlingsheim in Tröglitz
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Brand in zukünftigem Flüchtlingsheim in Tröglitz

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Welche Auswirkungen eine Tat, motiviert durch Fremdenhass, auf eine Stadt und deren Bevölkerung haben kann, weiß man in Solingen genau - obwohl die Fälle nicht vergleichbar sind. In Tröglitz brannte der Dachstuhl eines unbewohnten Flüchtlingsheims. In Solingen aber starben fünf Menschen der türkischstämmigen Familie Genç, als ihr Haus am 29. Mai 1993 von vier jungen Männern angezündet wurde. Ein Täter wurde zu 15 Jahren Haft wegen fünffachen Mordes, vierzehnfachen Mordversuchs und schwerer Brandstiftung verurteilt, die drei anderen jeweils zur höchsten Jugendstrafe von zehn Jahren.

Die Aufarbeitung gelang in der 160 000-Einwohner-Stadt, auch wegen des breiten Netzwerks der Zivilgesellschaft. Solingens Oberbürgermeister Norbert Feith (CDU) sagte unserer Redaktion: "Für die Familie war der nächtliche Anschlag auf ihr Wohnhaus eine Katastrophe, an deren Folgen sie bis heute seelisch und körperlich leidet. Für die Bevölkerung war es ein Schock, dass so ein Verbrechen in ihrer Stadt möglich war." Nun sei es ein Ansporn, für Toleranz zu werben und gegen Rassismus zu kämpfen - weil Solingen in der Öffentlichkeit auch 22 Jahre später noch die Stadt des Brandanschlags sei. Feith: "Solingen setzt sich ein für ein Stadtklima, in dem kulturelle Vielfalt als Stärke und als Markenzeichen verstanden wird."

Ein strategisches Thema

Stadtrat und Stadtverwaltung hätten Integration zum strategischen Thema gemacht, zudem gebe es stets ein Gedenken mit der Familie am Jahrestag des Anschlages. Und viele islamische Gemeinden würden regelmäßig einladen, etwa zum Fastenbrechen. "Man kennt sich, man schätzt sich", sagte Feith.

Angesichts wachsender Flüchtlingsströme appellierte er an Bund und Länder, Kommunen schnell und unbürokratisch finanziell dabei zu unterstützen, die Flüchtlinge unterzubringen und bestmöglich zu integrieren. "Wenn die Städte nicht um jeden Euro kämpfen müssen, wird auch kein Bürger den Eindruck gewinnen, hier würde ihm etwas weggenommen", sagte Feith.

(jd)
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