Oberbürgermeister Tim Kurzbach "Ich trete 2020 wieder an"

Solingen · Ein Gespräch mit dem OB über Investitionen, die Kreisel am Dickenbusch, die Herausforderungen des Amtes, die SPD – und schlaflose Nächte.

 Tim Kurzbach beim Gespräch in der Morgenpost-Redaktion.

Tim Kurzbach beim Gespräch in der Morgenpost-Redaktion.

Foto: Köhlen

Ein Gespräch mit dem OB über Investitionen, die Kreisel am Dickenbusch, die Herausforderungen des Amtes, die SPD — und schlaflose Nächte.

Es ist einer der ersten schöneren Tage im Jahr. Weil der Gast pünktlich zum Interview in der Redaktion der Morgenpost erschienen ist, hat er noch Zeit, die Aussicht zu genießen. Vom Signal-Iduna-Haus geht der Blick über den Weyersberg und die Nordstadt rüber zum Müllheizkraftwerk. "Typisch Solingen", sagt Oberbürgermeister Tim Kurzbach und deutet auf alte Fabrikgebäude sowie Häuser mit Dachterrassen, die sich abwechseln. Eine Stadt mit vielen Gesichtern, an deren Spitze der 39-jährige Sozialdemokrat seit fast zweieinhalb Jahren steht.

Herr Kurzbach, es ist "Halbzeit" Ihrer ersten Amtsperiode. Wie fällt die Zwischenbilanz aus?

Kurzbach Ich denke, dass wir schon einiges erreicht haben. Wobei von Anfang an klar war: Es ist die Zeit für Investitionen. Allein im Haushalt für 2018 haben wir ein 62 Millionen Euro schweres Paket geschnürt. Nehmen Sie nur Bildung und Kinderbetreuung: Wir arbeiten für die Schulen in den kommenden zehn Jahren ein Modernisierungsprogramm mit einem Volumen von 47 Millionen Euro ab - etwa die Hälfte davon bis 2021. Weitere 16 Millionen Euro werden in die Digitalisierung fließen. Für den Ausbau der Kindergärten werden es bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts 40 Millionen Euro sein.

Was aber auch nötig war.

Kurzbach Ja. Es musste endlich Schluss sein mit den ewigen Reparaturen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass die Stadt am Ende immer draufgezahlt hat. Das wollten wir ändern. Und hinter den Investitionen stecken ja Verbesserungen für die Menschen. Wir schaffen nur für die Schulen 4500 neue Rechner und entsprechend auch Server an. Und dann der Anschluss ans Glasfaserkabel für alle Schulen bis 2019. Hier folgen wir für die rund 50 Standorte nach und nach einem Prioritätenplan, der mit den Schulen abgestimmt wird.

Nur die Stadt macht neue Schulden.

Kurzbach Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Bildung ist für mich der zentrale Faktor für unsere Zukunft. Damit ist es gut angelegtes Geld. Früher haben wir doch auch Schulden gemacht. Allerdings, um Löcher zu stopfen. Jetzt schaffen wir Eigenkapital.

Trotzdem müssen Sie das Geld zurückzahlen.

Kurzbach Natürlich müssen wir an Zins und Tilgung denken. Und das tun wird auch. Wir haben lange Laufzeiten, teilweise über Jahrzehnte. Und wir haben günstigerweise weiterhin ein niedriges Zinsniveau. Aber noch einmal: Wir befinden uns in einer Zeit, in der es wichtig ist, in die Zukunft der Stadt zu investieren. Über allem steht dennoch nach wie vor der dauerhafte Ausgleich im Haushalt.

Der Rathausanbau hat Gegenwind.

Kurzbach Ich kann sehr gut verstehen, dass es in der Politik dazu Fragen gibt. Doch ich bin zuversichtlich, dass wir mit unseren Argumenten überzeugen werden. Zumal wir zunächst einmal lediglich einen ersten Schritt gehen und das Projekt genauer prüfen wollen.

Was spricht für den Rathaus-Anbau?

Kurzbach Für die Bürger soll es einfacher werden, Dinge zu erledigen. Das hängt auch wieder mit der Digitalisierung zusammen. Weiter ist es wichtig, für die Mitarbeiter Verbesserungen zu schaffen. So können mit Telearbeitsplätzen Familie und Beruf leichter vereinbart werden. Und zuletzt sparen wir Geld. Wir haben errechnet, dass es eine halbe Million Euro pro Jahr bringt, wenn wir die Verwaltung an zentralen Standorten konzentrieren.

Ebenfalls umstritten sind die Kreisverkehre am Dickenbusch.

Kurzbach Dazu gibt es politische Beschlüsse, die eindeutig sind. Sollten sich durch veränderte Förderbedingungen der Landesregierung neue Optionen ergeben, müssen wir überlegen, wie die städtischen Eigenanteile aufgebracht werden können. In den nächsten Wochen wird die Verwaltung in Erfahrung bringen, inwieweit diese neuen Optionen bestehen.

Stichwort batteriebetriebener Obus: Alte Technik wird zukunftsweisend.

Kurzbach Das ist genau der Punkt. Wir können uns heute einfach nur glücklich schätzen, dass wir in den 90er Jahren an den Obussen festgehalten haben. Mit der BOB-Technik sind wir in einigen Jahren sicher in der Lage, ein ganz neues Kapitel in der Elektromobilität aufzuschlagen. Und dies nicht allein bei unserem ÖPNV. Schon heute gibt es viele andere Städte, die sich brennend für das Projekt der Stadtwerke und ihrer Partner interessieren, unsere Oberleitungen zum Aufladen von Batterien zu nutzen. Das ist eine einmalige Chance für Umweltschutz und Mobilität gleichermaßen.

Es kommt also auf den Mix an?

Kurzbach Selbstverständlich. Wir haben einen starken ÖPNV. Und der muss verzahnt werden mit anderen Verkehrssystemen. Etwa mit neuen Radtrassen für E-Bikes. Darüber hinaus setzen wir uns mit unseren Nachbarkommunen bei dem Landesprojekt Stadt.Umland für ein drittes Gleis nach Köln sowie für einen neuen Haltepunkt in Landwehr ein. Denn eines wird immer klarer: Solingen ist erfolgreich, wenn wir bereit sind, über unseren Tellerrand zu schauen.

Auch in Sachen Strukturwandel und Ansiedlung von Firmen?

Kurzbach Zunächst müssen wir uns in Solingen für unsere industrielle Tradition wirklich nicht schämen. Im Gegenteil - was früher geschaffen wurde, war großartig. Darauf können wir heute aufbauen, daraus wird Neues entstehen. Es ist doch keine Frage: Unsere Stadt soll und wird Industriestandort bleiben. Deswegen bin ich zum Beispiel ständig in Kontakt mit Gewerkschaften und IHK. Beim Angebot von Gewerbeflächen ist es wichtiger denn je, mit dem knappen Gut Boden sehr klug umzugehen. Denn dieser lässt sich in Solingen nicht beliebig vermehren. Deshalb reaktivieren und erneuern wir Brachen, um moderne, attraktive Gewerbeflächen zu machen. Ein Teil des Strukturwandels wird für Solingen künftig aber mit Sicherheit auch darin liegen, den Anschluss an die Rheinschiene wirklich zu vollziehen. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe.

Und wie geht es mit Rasspe weiter?

Kurzbach Gerade dort zeigt sich, wie Altes mit Neuem verbunden wird. 2019 stehen erste Teile dieser Fläche zur Verfügung. Inklusive hochmodernem Glasfaseranschluss. Ich bin sicher, dass die Nutzung alter Industriebrachen für neue Firmen und Arbeitsplätze ein zentrales Thema ist. Und wir brauchen natürlich auch einen langen Atem, um die Herausforderungen zu bewältigen.

Hat das Amt Sie verändert?

Kurzbach (lacht) Das will ich doch nicht hoffen. Und ehrlich glaube ich auch nicht, dass ich mich verändert habe. Natürlich müssen das am Ende andere beurteilen. Aber man wird doch kein anderer Mensch, nur weil man Oberbürgermeister ist.

Werden Sie 2020 wieder antreten?

Kurzbach Ganz klar ja. Ich trete 2020 wieder an. Sehen Sie, ich habe von Beginn an gesagt, dass die Aufgaben nicht in einer Wahlperiode zu erledigen sind.

Das gilt auch für das Thema Flucht.

Kurzbach Das stimmt. Ich erinnere mich noch sehr gut an 2015. Damals galt es, die Flüchtlinge unterzubringen. Das war eine kolossale Aufgabe, die ohne die Menschen aus der Verwaltung und die vielen freiwilligen Helfer nie zu stemmen gewesen wäre.

Und die noch nicht beendet ist.

Kurzbach Das kann doch gar nicht anders sein. Ich habe immer gesagt, dass die Integration eine Generationen-Aufgabe ist. Aber gleichzeitig haben wir viel geschafft. Von den zu uns gekommenen Menschen, die oft schwere Schicksale haben, lebt niemand mehr in den Massenunterkünften der ersten Zeit.

Solingen ist auf einem guten Weg?

Kurzbach Es war eine tolle Leistung der Stadtgesellschaft. Jetzt müssen wir dran bleiben. Was man jedoch auch sagen muss: Wir brauchen verlässlicher Geld von Bund und Land. Ich halte die Entscheidungen, die 2015 von der Bundesregierung getroffen wurden, für ethisch richtig. Doch nun müssen die Verantwortlichen sagen, wie es weitergeht. Das, was für Bildung und Arbeit bereitsteht, ist definitiv zu wenig. Viele der Geflüchteten werden irgendwann zurückgehen, aber viele werden auch bleiben. Diese Menschen sollen wirklich neue Nachbarn werden.

Im Bund regiert Ihre Partei. Wie oft macht die SPD schlaflose Nächte?

Kurzbach (lacht) Die habe ich, wenn meine kleinen Söhne nicht einschlafen. Im Ernst: Sicher hat die SPD viele Fehler gemacht. Doch ich bin zuversichtlich, dass die neue große Koalition nicht die alte wird.

Oder die SPD hat sich überlebt.

Kurzbach Da seien Sie sich mal nicht sicher. Die SPD hat mit dem Mitgliedervotum Stärke gezeigt. Natürlich darf man jetzt nicht alles Regierungshandeln unterordnen. Es geht um gesellschaftliche Solidarität. Da hat die SPD viel zu bieten.

(or)
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