Ansichtssache Streik und Vertrauenskrise

Meinung | Solingen · Man muss wirklich kein Prophet sein. Wenn die Arbeitnehmer des Öffentlichen Dienstes am Dienstag einmal mehr den Job Job sein lassen und sich an einem Warnstreik für ein höheres Gehalt beteiligen, wird es erneut Leute geben, die die Gewerkschaft Verdi verfluchen. Denn schließlich fahren keine Busse, die Kitas sind betroffen - und der Müll bleibt auch liegen.

Dabei sind aber nicht nur die Bürger die Leidtragenden. Im Solinger Rathaus werden etliche Verantwortliche ebenfalls die Augen verdrehen. Immerhin kostet der Tarifabschluss Geld, das die Stadt nicht hat. Mit den im Haushalt eingespeisten zwei Prozent Lohnerhöhung wird es jedenfalls kaum getan sein, so dass die Verwaltungsspitze ein Problem mehr am Hals haben dürfte. Über Gebühr bemitleiden sollte man die Stadtoberen indes nicht. Denn zum einen haben sie ja selbst immer mal wieder Geld ausgegeben, was nicht bei allen in der Stadt auf Gegenliebe stieß. Und zum anderen gehört fast die ganze Dezernentenriege samt OB Parteien an, die in Berlin erstens zu wenig für die Finanzausstattung der Kommunen tun und zweitens das Geld für allen möglichen Mist zum Fenster hinauswerfen.

Sorry, auch wenn man sich so dem Vorwurf des Populismus aussetzt: Aber wer zum Beispiel Mittel in Umstandsuniformen für Soldatinnen steckt, kann nicht erwarten, dass ausgerechnet jene Menschen ewig stillhalten, von denen viele jeden Euro umdrehen müssen. Denn genau das ist Realität in vielen Familien auch in Solingen. Oder glaubt tatsächlich jemand, das Leben mit einem Busfahrer- oder Verwaltungsangestellten-Gehalt inklusive Kindern in Ausbildung, Auto, Miete sowie privater Altersvorsorge sei ein Zuckerschlecken ? Wohl kaum.

Nun muss zur Ehrenrettung der Solinger Stadtspitze gesagt werden, dass dort schon lange klar ist, wie scharf viele auch der eigenen Mitarbeiter rechnen müssen. Doch wenn diese Erkenntnis nicht endlich in die große Politik weitergegeben wird, ändert sich nichts - und wir schlittern zusehends in eine gesellschaftliche Vertrauenskrise.

Dies ist nämlich der springende Punkt, in dem sich die aktuelle Tarifauseinandersetzung von früheren unterscheidet. Man muss nur einmal einen Blick in einschlägige Internetforen werfen oder den Leuten im Alltag zuhören. Was im Übrigen auch für Verdi gilt. Die Tarifrituale der Vergangenheit helfen nicht mehr. Die Gewerkschaft sieht sich längst, auch wenn sie das nicht gerne zugibt, Konkurrenzkräften ausgesetzt, die es in Sachen Populismus sicher nicht bei Umstandsmode in der Bundeswehr belassen werden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort