Solingen Spur von Nazi-Funden führt nach Solingen

Solingen · Interpol hat bei einem Antiquitätenhändler in Argentinien dutzende NS-Artefakte beschlagnahmt. Einige tragen den Prägestempel einer Solinger Firma - und erinnern an ein fast vergessenes Kapitel aus der Geschichte der Klingenstadt.

 Mitarbeiterinnen der argentinischen Polizei stellten die Funde aus der Nazi-Zeit im Auftrag von Interpol sicher.

Mitarbeiterinnen der argentinischen Polizei stellten die Funde aus der Nazi-Zeit im Auftrag von Interpol sicher.

Foto: ap

Es ist einer der größten Funde seiner Art in den zurückliegenden Jahrzehnten. Bei einem Antiquitätenhändler in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires haben Fahnder der internationalen Polizeiorganisation Interpol jetzt eine Sammlung von zahlreichen Devotionalien aus der NS-Zeit sichergestellt. Der Händler hatte die Artefakte, darunter Hitler-Büsten und andere Gegenstände aus dem "Dritten Reich", in einem Geheimraum versteckt gehabt - wobei der Fund im fernen Südamerika mit einem Mal auch ein fast schon vergessenes Kapitel der Solinger Geschichte zurück an das Licht der Öffentlichkeit befördert.

Denn unter den konfiszierten Gegenständen, deren Weg aus Deutschland nach Argentinien erst noch genau untersucht werden muss, befinden sich unter anderem Produkte aus hiesiger Fertigung. So tragen einige der Relikte aus dem NS-Regime den Fabrikationsstempel der Firma "Carl Eickhorn", die früher zu den führenden Waffenherstellern in der Klingenstadt gehörte.

Dementsprechend löst die Spur, die aus Buenos Aires nach Solingen führt, bei Stadtarchivar Ralf Rogge nur wenig Überraschung aus. "Nach 1933 gab es eine ganze Reihe von Solinger Unternehmen, die für Organisationen des Regimes produziert haben", sagte Rogge am Mittwoch im Gespräch mit unserer Redaktion. Beispielsweise erfreuten sich eigens angefertigte Dolche oder Säbel bei etlichen Größen des "Dritten Reiches" einer enormen Beliebtheit.

Dabei waren solche Maßanfertigungen, die es im Übrigen schon im Kaiserreich für hochgestellte Persönlichkeiten gegeben hatte, aber nur ein Teil jenes Geschäftsmodells, mit dessen Hilfe die Schneidwarenindustrie nach der sogenannten Machtergreifung Adolf Hitlers Geld verdiente. Darüber hinaus waren nämlich auch nationalsozialistische Massenorganisationen wie die Sturmabteilung (SA) sowie die Schutzstaffel (SS) Kunden bei Solinger Firmen und ließen nach 1933 einen Teil ihrer Waffen in der Klingenstadt produzieren.

Was wiederum für die bis dahin darbende Solinger Industrie einen unerwarteten Aufschwung brachte. Denn immerhin war es nach Ende des Ersten Weltkrieges mit der Branche bergab gegangen. "Die Schneidwarenhersteller befanden sich in einer schwierigen Lage", sagt Stadtarchivar Rogge - wohlwissend, dass sich dieser zunächst schleichende Niedergang mit Einsetzen der Weltwirtschaftskrise nach 1929 noch einmal beschleunigte.

Gerade die Solinger Firmen, die schon in den 1920er Jahren einen Großteil ihrer Produktion im Ausland abgesetzt hatten, litten besonders unter der wirtschaftlichen Depression, die nach und nach die gesamte Region nach unten zog und auf diese Weise zu einem sehr frühen Verlierer der Globalisierung machte. "In Solingen herrschte in der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 30er Jahre mit die höchste Arbeitslosigkeit im gesamten Deutschen Reich", berichtet Ralf Rogge über das allgemeine sowie allgegenwärtige Elend.

Eine Misere, aus der das Nazi-Regime schließlich einen Ausweg zu weisen schien. "So versuchten die Firmen, der Verband der Schneidwarenindustrie und die Industrie- und Handelskammer, nach der ,Machtergreifung' der Nazis neue Aufträge zu bekommen", sagt Archivar Rogge, der zudem betont, dass das Unterfangen zunächst durchaus einigen Erfolg zeigte.

Denn nach 1933 waren die Auftragsbücher schnell wieder voll - zumal neben SA und SS später auch die Wehrmacht in der Klingenstadt produzieren ließ. Und darüber hinaus gab es ja die erwähnten Funktionsträger des Regimes, die sich ebenfalls gerne mit Schmuckwaffen aus Solingen zierten.

Indes vermochte all dies den Bedeutungsverlust der Schneidwarenhersteller nur zu unterbrechen, nicht jedoch zu stoppen. Nach dem Untergang des "Dritten Reiches" setzte sich die Abwärtsspirale der Industrie in der Klingenstadt vielmehr fort - und zahlreiche Firmen verschwanden schließlich vom Markt.

So auch "Carl Eickhorn". Das Unternehmen, das nicht das einzige war, das zwischen 1933 und 1945 Geschäfte mit dem Regime gemacht hatte, wechselte nach dem Krieg mehrfach die Besitzer. Die heutige Firma "Eickhorn Solingen Limited", die ihren Sitz an der Kolumbusstraße in Mitte hat, teilt mit dem alten Unternehmen nur noch den Namen und gehört längst zu einer britschen Holding.

Inwieweit sich die Spur der NS-Devotionalien, die nun in Argentinien aufgetaucht sind, zurückverfolgen lässt, erscheint demzufolge höchst fraglich. Ein Unternehmensarchiv, das Auskunft geben könnte, existiert nämlich nicht. Und wann die Artefakte aus der Klingenstadt nach Südamerika gelangten, ist ebenso offen. Dies könnte nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch schon in den 30er Jahren geschehen sein.

(or)
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