Schach Erstliga-Rückzug ist kaum zu verhindern

Solingen · Neben der Hamburger SK ist die SG Solingen das einzige Gründungsmitglied, das noch in der Schach-Bundesliga vertreten ist. Nun deutet alles daraufhin, dass der Rekordmeister nach dieser Saison aus finanziellen Gründen zurückziehen wird.

 Im Alter von 19 Jahren hat Markus Ragger als Internationaler Meister seine ersten Partien für die SG Solingen gespielt. Der 25-jährige Großmeister wird in dieser Saison der einzige Akteur sein, der eine Einsatzgarantie bekommen hat.

Im Alter von 19 Jahren hat Markus Ragger als Internationaler Meister seine ersten Partien für die SG Solingen gespielt. Der 25-jährige Großmeister wird in dieser Saison der einzige Akteur sein, der eine Einsatzgarantie bekommen hat.

Foto: Köhlen / Radtke

Die SG Solingen ist aus der Schach-Bundesliga nicht wegzudenken. Nun droht die Institution nach 49 Spielzeiten wegzubrechen, weil eine finanzielle Grenze erreicht ist, die Sie nicht mehr überschreiten können und wollen.

 Seit mehr als 40 Jahren ist Herbert Scheidt Teamchef des Erstliga-Teams.

Seit mehr als 40 Jahren ist Herbert Scheidt Teamchef des Erstliga-Teams.

Foto: Radtke, Guido (gra)

Scheidt Ich habe schon viele, viele Jahre enorm viel Geld in den Verein hineingesteckt. Der letzte große Kraftakt war der Bau des Schachzentrums Birkerstraße. Sie kriegen Sponsoren im Schach nur, wenn diese aktiv sind oder irgendwann gespielt haben. Und dann ist eher die Bereitschaft da, die Jugendarbeit finanziell zu unterstützen. Wir haben eigentlich immer Schwierigkeiten gehabt, den Etat für die Saison zusammenbekommen. Bei der Sparkasse läuft deswegen zur Absicherung auch ein Kredit. Dem Verein kann also nichts passieren — unabhängig davon, was mit der Ersten Mannschaft geschieht.

Bei der Bundesliga handelt es sich also um eine Herzensangelegenheit von Ihnen?

Scheidt (nickt mehrfach) Die Bundesliga existiert seit der Saison 1980/81, davor waren wir stets in der höchsten nationalen Klasse vertreten. 40 Jahre lang war ich der Teamchef. Das hat viel mit der Mannschaft zu tun, die seit Jahren mit ihrem Stamm zusammenspielt. Wir haben eine fantastische Kameradschaft. Ich bin ganz ehrlich: Ich hatte gehofft, dass ein, zwei Akteure abgesprungen wären, nachdem wir die Antrittsgelder um 20 bis 30 Prozent gekürzt hatten. Trotzdem sind alle geblieben, obwohl sie anderswo das Doppelte hätten bekommen können. Man spürt, die Spieler hängen an dem Verein.

Seit wann müssen Sie derart rechnen?

Scheidt Das hat in der vergangenen Saison angefangen, als uns Sponsorengelder in der Größenordnung von 60 bis 70 Prozent ausgefallen sind. Da haben wir heute noch Verbindlichkeiten, die wir mit in die neue Spielzeit nehmen. Deshalb haben wir den Etat auf 40 000 Euro gekürzt, wovon die Reise- und Übernachtungskosten alleine rund 16 000 Euro betragen. Jetzt bekommt jeder Spieler erst einmal sein Geld — dafür ist Solingen bekannt.

Können die ausstehenden Beträge nicht noch eingefordert werden?

Scheidt Ich mache weder mit Spielern noch mit Sponsoren irgendwelche Verträge. Das können sie einfach nicht. Diese Sponsoren, die sich engagieren, tun es in erster Linie auch nur mir persönlich zuliebe.

Schach ist nun mal kein Sport, der öffentlichkeitswirksam ist. Wie viele Zuschauer kommen im Durchschnitt zu den Heimspielen?

Scheidt Die Zahl der Zuschauer ist vollkommen sekundär geworden, weil die Spiele auf der ganzen Welt live im Internet übertragen werden. Damit hatte die Bundesliga gehofft, mehr und größere Sponsoren zu finden. Das hat allerdings noch nicht gefruchtet.

Warum haben Sie die Mannschaft nicht schon vor dieser Saison zurückgezogen?

Scheidt Wenn ich gewusst hätte, dass die Kosten für das vergangene Jahr plötzlich nicht mehr gedeckt sein würden, weil versprochene Gelder nicht kamen, hätte ich die Entscheidung vor dem 1. Mai treffen müssen. Ich habe immer gedacht: Das bekommst du hin und habe gemeldet. Nun gehen wir in die neue Saison und werden sie auch zu Ende spielen — teilweise aber mit ganz schwachen Aufstellungen.

Nominell würde die SG Solingen wohl wieder um die Spitzenplätze mitspielen können.

Scheidt Das ist richtig. Mit unseren Bewertungszahlen sind wir an Position drei vornotiert. Der Einzige, der eine feste Zusage erhalten hat, in jeder Runde eingesetzt zu werden, ist Markus Ragger an Brett eins. An den anderen Positionen werde ich wohl oft die Spieler tauschen. Komplett werden wir allerhöchstens gegen Teams sein, die gegen den Abstieg kämpfen.

Wie kann unter diesen Bedingungen das Saisonziel lauten ?

Scheidt Wenn eine Platzierung zwischen acht und zehn herausspringt, wäre ich schon zufrieden.

Wie sehen die Perspektiven aus, wenn tatsächlich der Schlussstrich gezogen wird ?

Scheidt Nach dem Rückzug werden wir den Startplatz in der Zweiten Liga sicher haben. Das ist dann aber nicht mehr mein Ding.

Wie finanziert sich die Zweite Mannschaft ?

Scheidt Die Zweite Mannschaft ist zuletzt nur zwei Mal mit einem Großmeister verstärkt worden. Das war nicht viel, was da angefallen ist. Ansonsten sind es reine Amateure. In der Ersten haben wir aktuell vier Amateure gemeldet, die werde ich auch einsetzen, um Honorare einzusparen.

Wie schwer fällt es Ihnen, diese Maßnahmen ergreifen zu müssen ?

Scheidt Schwer. Schach war mein Leben. (atmet tief durch) Aber ich kann es jetzt nicht mehr verantworten, insbesondere meiner Familie gegenüber.

GUIDO RADTKE FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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