Jan Boomers "So schlecht können wir nicht gewesen sein"

Solingen · 20 Jahre Biologische Station Mittlere Wupper: Leiter Dr. Jan Boomers spricht über die Arbeit und den Erfolg des bergischen Gemeinschaftsprojekts.

 Nadine Peifer zieht mit ihren Ziegen und Schafen durch die Ohligser Heide. Die Tiere weiden die Heideflächen ab und sorgen so für deren Erhalt.

Nadine Peifer zieht mit ihren Ziegen und Schafen durch die Ohligser Heide. Die Tiere weiden die Heideflächen ab und sorgen so für deren Erhalt.

Foto: Stephan Köhlen

Seit wenigen Tagen zieht Schäferin Nadine Peifer mit ihrer Herde nicht nur durch die Ohligser Heide, sondern auch durch die Krüdersheide. Warum?

Boomers Um den Charakter der Heide zu erhalten. Da muss man dranbleiben. Seit letztem Sommer hat die Schäferei einen neuen Vertrag über fünf Jahre, der auch die Krüdersheide einschließt. Das Gebiet südlich der Ohligser Heide war bisher so etwas wie ein Stiefkind, was man noch an den Lärchenbeständen und an anderen standortfremden Gehölzen erkennen kann.

Neben der Ohligser Heide ist das Europäische Naturschutzgebiet (FFH) an der Wupper ein Haupteinsatzgebiet der Station. Was geschieht dort?

Boomers Die Wupper beschäftigt uns immer. Gewässer sind für den Artenschutz von zentraler Bedeutung. Nach den großen Projekten "Flüsterwald" und "Bergisches Habitat" steht die Tagesarbeit auf dem Programm - etwa die Bootslehrgänge. Nach sechs Kursen im Frühjahr gibt es jetzt noch einmal sechs im Oktober. Wir hatten eine Riesenwarteliste; die Interessenten kommen aus einem weiten Umkreis. Wer in dem Flora-Fauna-Habitat-Gebiet zwischen Müngsten und Leverkusen Boot fahren will, braucht einen Führerschein. Aus einer zehnköpfigen Gruppe muss ihn mindestens einer haben.

Seit Oktober 2000 betreut die Biologische Station auch Wuppertal und Remscheid. Um welche Gebiete geht es dort?

Boomers In Wuppertal kontrollieren und managen wir beispielsweise fast 200 Hektar im Bereich Scharpenacken. Auf dem früheren Panzer-Übungsgelände wurden rund 30 ha mit Landeseinrichtungen bebaut, was Ausgleichsmaßnahmen nötig machte. Während wir dort unter anderem verfolgen, wie es dem Kammmolch geht, kümmern wir uns an der Panzertalsperre in Remscheid um Pflanzen wie Lungenenzian und Strandling, die an den schwankenden Wasserstand angepasst sind. Diese Pflanzen sind mittlerweile sehr selten geworden.

Für das Betreuen der zahlreichen Naturschutzgebiete im Städtedreieck bekommen Sie und ihre sechs Mitarbeiter rund 160.000 Euro im Jahr. 80 Prozent zahlt das Land, den Rest teilen sich die Städte. Kann man davon leben?

Boomers Insgesamt sind wir mit 4,5 Stellen verteilt auf sieben Personen ausgestattet. Um das zu finanzieren müssen wir zusätzliche Projekte einwerben. Der gesamte Etat liegt bei 300.000 bis 400.000 Euro. Zusätzliches Geld erhalten wir durch Projekte wie den Obstwiesenschutz oder den Wildbienenlehrpfad im Botanischen Garten. Er wurde vom Landschaftsverband finanziert. Außerdem engagieren sich seit September wieder drei Jugendliche im Bundesfreiwilligendienst bei uns und pflegen kleinere Flächen. Insgesamt gilt: Es gibt viel Leistung für relativ überschaubares Geld.

Betreiber der Biologischen Station ist der 1996 gegründete Trägerverein, hinter dem mehrere Naturschutzverbände stehen. Wie klappt die Zusammenarbeit?

Boomers Ich bin total glücklich über den engagierten und sympathischen Vorstand des Trägervereins, dem je zwei Ehrenamtler aus Solingen, Wuppertal und Remscheid angehören. Ich finde es wichtig, dass wir den engen Kontakt zu den Naturschützern haben und nicht abheben wie ein Raumschiff.

Ihre Expertise ist auch gefragt, wenn neue Gewerbegebiete wie am Ittertal ausgewiesen werden sollen. Haben Ihre Bedenken Gehör gefunden?

Boomers Es gab ein sehr ausführliches Gutachten, in dem unsere Angaben korrekt dargestellt wurden. Am Piepersberg muss man sich keine Illusionen über Brutvorkommen seltener, "planungsrelevanter" Arten machen. Es geht hier vielmehr darum, dass die Funktion des Biotopverbundsystems aufrecht erhalten wird. Sollte es bei den Grünflächen nur noch einen 150 Meter breiten Spalt geben, ist es schwer vorstellbar, dass der Verbund noch funktionieren kann.

Was wird Sie und das Team in den kommenden Jahren beschäftigen?

Boomers Der Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt. Zu den Arten, die in den letzten 20 Jahren verschwunden sind, zählen viele Vögel - in Solingen etwa der Kuckuck, der Kiebitz und die Feldlerche. Kriegen wir das wieder gedreht? Und wie wirkt sich der Klimawandel auf die Wälder aus? Im Jahresmittel haben wir nicht weniger Niederschläge, aber sie sind anders verteilt. Fichten etwa kommen mit der langen Trockenheit nicht klar. Führen wir stattdessen exotische Pflanzen ein, kann das zu Problemen für die heimischen Tiere und Pflanzen führen.

Und was steht aktuell an?

Boomers Am 8. Oktober gibt es eine Veranstaltung zu Streuobstwiesen in Wuppertal; am 10. Oktober kommt die mobile Saftpresse zum Peter-Höfer-Platz nach Höhscheid. Wenn wir das anbieten, ist es immer ruck-zuck ausgebucht. Im Winter liegt der Schwerpunkt dann auf dem Schreiben der Berichte und dem Digitalisieren. Ein weiterer Punkt von vielen ist die Kartierung von Horst- und Höhlenbäumen.

Sie leiten die Biologische Station von Anfang an. Können Sie sich nach zwei Jahrzehnten zufrieden zurücklehnen?

Boomers Wir haben unseren festen Platz im Städtedreieck gefunden, was ich als sehr angenehm empfinde. Und die Biostationen in Nordrhein-Westfalen sind so etwas wie eine Blaupause für andere Länder wie Thüringen und Niedersachsen geworden. In Mecklenburg wird über ihre Einrichtung diskutiert. Das ist ein schöner Beleg. So schlecht können wir nicht gewesen sein, wenn es die anderen jetzt kopieren.

FRED LOTHAR MELCHIOR FÜHRTE DAS GESPRÄCH MIT DR. JAN BOOMERS.

(flm)
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