Solingen Romeo und Julia beim Telefonsex

Solingen · Premiere beim Kammerspielchen: Was in "Total glücklich" als frivole Komödie beginnt, führt in menschliche Abgründe

Die Situation ist absurd: Mit dem Korken zwischen den Zähnen übt Schauspielerin Elisabeth einen Shakespeare-Monolog. Natürlich die Julia. Da klingelt das Telefon. Es ist aber weder Romeo noch ein Intendant wegen eines Engagements. Es ist ein Kunde.

Denn Elisabeth verdient sich ihre Brötchen am Sex-Telefon. "Soll ich dich glücklich machen?" Aber bevor der Kunde glücklich wird, platzt Andreas herein. Der neue Nachbar von nebenan braucht dringend ein Kondom. Was anfangs als frivole Boulevard-Komödie daherkommt, taumelt schnell in die Tiefen menschlicher Abgründe. Gar ein tödlicher Ausgang kommt in greifbare Nähe. Dennoch bleiben Witz und Wortgefechte tragendes Element über dem Abgrund.

Am Samstag hatte in den Kammerspielchen in Gräfrath das Stück "Total glücklich" der österreichischen Schriftstellerin Silke Hassler Premiere. Und es war gleich eine Premiere im doppelten Sinn: Erstmals gastiert das Theater an der Luegallee aus Düsseldorf im Kammerspielchen. "Das ist hier eine sehr schöne Atmosphäre", schwärmt Joachim Meurer vom kleinen Gräfrather Theater. Der Düsseldorfer Intendant, der bei "Total glücklich" auch Regie führt, hat seit rund vier Jahren Kontakt zu seinem Kammerspielchen-Kollegen Ernst-Werner Quambusch. Nun hat eine Kooperation begonnen, in der gegenseitig Inszenierungen ausgetauscht werden sollen. Meurer: "Unser Schwerpunkt sind mit Ur- und Erstaufführungen hauptsächlich Gegenwartsstücke." Die werden von den Verlagen angeboten. "Das bedeutet, ganz viel lesen - und 90 Prozent zur Seite legen."

Das allerdings musste Meurer bei Silke Hasslers Stück nicht, das im vergangenen Jahr von den Wiener Kammerspielen uraufgeführt wurde. Davon kann man sich nun in Gräfrath überzeugen.

Im Zwei-Personen-Stück ist alles auf die beiden hervorragenden Darsteller konzentriert: Domenique Mona Güttes und Arthur Oppenländer leuchten mit Leichtigkeit die Gefühlswelt ihrer Generation aus. Nur scheinbar abgeklärt gibt Güttes die arbeitslose Schauspielerin, die ihre Julia-Rolle jeden Tag durchstudiert. Nur scheinbar stellt Oppenländer einen großen Jungen dar, der als großer Schriftsteller herauskommen möchte, dessen Roman aber keiner haben will.

Die beiden Schauspieler vermitteln eindringlich das Spiel zwischen Schein und Sein - in dem sich Letzteres immer mehr Bahn bricht. Elisabeth und Andreas sind Anfang 30 und gescheitert. Die Lebensträume haben sich nicht verwirklichen lassen. Nun stehen sie vor sich als Versager da. Dass Andreas beim ersten Mal mit Elisabeth im Bett schlappmacht, ist mehr als eine bezeichnende Metapher. Einsamkeit und Traurigkeit kennzeichnen das Leben der beiden Singles. Da bleiben dann auch emotionale Ausbrüche nicht aus. Das 90-minütige Stück wirkt geradezu als eine Beziehungsstudie im Zeitraffer. "Warum funktioniert das Leben bei den anderen und bei mir nicht?"

Ein Höhepunkt wird dann fast zwangsläufig, wenn die "Idealfrau für 1,89 Euro die Minute" und der von Mama genervte Möchtegern-Schriftsteller die Sterbeszene aus dem Klassiker Romeo und Julia nachspielen - mit einem Fläschchen Gift von einem Internet-Quacksalber. Kann man Versager lieben? Ist man überhaupt ein Versager? Was haben zwei Paletten H-Milch damit zu tun? Und ist das wirklich alles absurd?

Die Antworten gibt die schlüssige und muntere Inszenierung von "Total glücklich", einem Stück, dass die Autorin den Untertitel "Eine fast absurde Komödie" mitgegeben hat. Zugleich ist es der vielversprechende Auftakt der Zusammenarbeit der Kammerspielchen und des Düsseldorfer Theaters an der Luegallee.

(RP)
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