Interview Jens Merten Männer werden an Schulen zur Mangelware

Solingen · Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung Solingen (VBE) über den Mangel von Männern an den Schulen, Rollenbilder im Lehrerberuf und Forderungen an die Politik.

Herr Merten, immer weniger Männer wollen Lehrer werden. Ihr Verband Bildung und Erziehung spricht bereits von der "Mangelware Mann" an den Schulen. Woran liegt das?

Merten Die Probleme liegen auf der Hand: Pädagogische Berufe, vor allem in Schulen, bieten kaum Aufstiegsmöglichkeiten, während sich gerade viele junge Männer bei der Berufswahl an Karrierechancen orientieren. Hinzu kommt, dass wir in der Öffentlichkeit immer noch ein klares Rollenbild haben: Lehrer kümmern sich und kümmern ist Frauensache. Dass dieses kümmern tatsächlich nur eine ganz kleine Facette des Berufsbilds darstellt, ist den Wenigsten klar.

Wie entwickeln sich denn die Zahlen männlicher Lehrer an den Schulen?

Merten In den letzten zehn Jahren ist der Anteil männlicher Lehrkräfte bundesweit um rund fünf Prozent gesunken. Gut ein Viertel der Lehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen sind laut der aktuellen Statistik von IT.NRW männlich.

Wie sieht es in Solingen aus?

Merten Grundsätzlich liegen wir im Trend. Ich kann aber nur für die Grundschulen sprechen. Hier sieht es noch schlechter aus: Nur etwa neun Prozent der Lehrkräfte sind männlich.

Sind denn alle Schulformen gleichermaßen davon betroffen?

Merten Die Entwicklung ist in allen Schulformen erkennbar. Dennoch ist die Quote an den Grundschulen besonders niedrig, während es an einigen Gymnasien bis vor wenigen Jahren noch rund 50 Prozent männliche Lehrer gab. Allerdings: Ein Großteil dieser männlichen Lehrer an weiterführenden Schulen ist bereits über 60 Jahre alt, der Prozentsatz wird also in den kommenden Jahren noch einmal ganz massiv runtergehen.

Lässt denn zumindest der Blick in die Hörsäle der Lehramtsstudiengänge hoffen?

Merten Bundesweit haben Unis Projekte gestartet, um mehr Männer an die Schulen zu bekommen. Dies führt bisher jedoch nicht zu so signifikanten Veränderungen, dass davon auszugehen ist, dass in den nächsten zehn Jahren ganz viele junge Männer kommen werden. Die Entwicklung zur Feminisierung des Lehrerberufs wird also anhalten. Dies ist auch eine Folge der verfehlten Ausbildungspolitik der vergangenen zehn Jahre: Es hat sich allerdings schon vor Jahren abgezeichnet, dass insgesamt eine große Personallücke entstehen würde. Jetzt sind sehr viele Lehrer-Stellen ausgeschrieben, aber niemand kann nachrücken.

Was muss passieren, um dem Männermangel an den Schulen entgegen zu wirken?

Merten Die Landesregierung ist gefordert, Verbesserungen vorzuweisen. Eine grundsätzliche Forderung ist die nach gleicher Bezahlung an allen Schulformen. Es kann nicht sein, dass Lehrer an Grundschulen weniger verdienen als Lehrer im Bereich der Sekundarstufe II - insbesondere nicht, wenn mit der Umstellung auf Bachelor und Master die gleichen Abschlüsse erzielt werden. Eine weitere Ungerechtigkeit im Grundschul-Bereich liegt darin, dass die Lehrer hier eine höhere Stundenzahl vorweisen müssen als in Förderschulen oder im Bereich Sekundarstufe II. Hinzu kommt, dass es in der Schule im Prinzip keine Möglichkeiten gibt, aufzusteigen und dass der Posten des Schulleiters so unattraktiv geworden ist wie nie zuvor.

Wie entwickeln sich die Bedingungen an den Schulen denn grundsätzlich?

Merten Sie verschlechtern sich deutlich. Die Aufgabenfelder werden immer größer und verschieben sich immer mehr vom Unterrichten zum Erziehen, Diagnostizieren, Dokumentieren und Beraten von besonders herausfordernden Kindern. Der gesamte Lehrerberuf muss wieder bessere Bedingungen bieten - dann werden sich auch wieder mehr Studenten, auch Männer, dafür interessieren.

Was bedeutet denn eigentlich der Mangel von männlichen Lehrern, vor allem für die Schüler?

Merten Kinder brauchen sowohl weibliche als auch männliche Rollenvorbilder, um sich emotional stabil entwickeln zu können. Sie müssen die Chance haben, sich an beiden Geschlechtern zu orientieren. Schule sollte die Gesellschaft - und damit auch die Geschlechterquote - abbilden, aber das tut sie heute nicht.

Gehen die Kinder mit Ihnen denn anders um als mit ihren weiblichen Kollegen?

Merten Gerade Jungs orientieren sich natürlich an Männern. Und da stelle ich immer wieder fest, dass gerade die Jungs sich mir gegenüber viel stärker präsentieren: Sie wollen gesehen und wahrgenommen werden - als Jungen wohlgemerkt, nicht als Schüler.

MAXINE HERDER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(mxh)
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