Solingen Lesch überzeugt mit seinem Regie-Debüt

Solingen · Michael Lesch und Marina Welsch präsentierten eine virtuose Aufführung der "Love Letters".

 Das Regie-Debüt von Michael Lesch war gelungen.

Das Regie-Debüt von Michael Lesch war gelungen.

Foto: Köhlen (Archiv)

Zwei Tische, zwei Stühle, zwei Gläser Wasser, zwei geöffnete Kladden. Soll das eine Lesung werden ? Musik erklingt: "Bei mir bistu shein", im Swingstyle der 40er. Dann wird es dunkel, der Spot geht an, sie sind da: Michael Lesch und Marina Welsch. Sie lesen tatsächlich, und tun doch viel mehr. Denn in Albert Ramsdell Gurneys "Love Letters" geht es hauptsächlich ums Lesen. Das Lesen von Briefen zweier, die sich 50 Jahre lang Briefe schrieben, in diesen ihre Leben teilten, aber nie wirklich zueinander fanden. Im ausverkauften Kammerspielchen präsentierte Lesch seine erste Regiearbeit. Kurz gesagt: Sie war grandios.

Mit einer Geburtstagseinladung von Melissa Gardner an Mitschüler Andrew anno 1937 geht es los mit den Briefen. Noch sind es eher Briefchen, auch mal Postkarten, enthaltend verschämte kleine Bonmots über dies und das - aber auch Liebesdinge keimen auf. "Willst du am Valentinstag meine Braut sein ?" fragt er, doch dazu kommt es nicht: Mal tanzt sie auf Bällen mit anderen, dann wieder er - und in den Briefen entschuldigen sie sich dafür: "Ich hatte eine Leistenzerrung. Ich konnte beim Ball nur mit Jenny Waters tanzen, weil die so langsame Schritte macht", schreibt er einmal. Dann fragt er sie: "Willst du mit mir gehen ?" "Ich gehe mit niemandem", schreibt sie zurück.

Ihre Wege gehen weiter auseinander, die Briefe bleiben einzige Konstanten. Sie, inzwischen junge Erwachsene, besprechen darin, was ihr Leben bewegt. Sie will "alles hinschmeißen, nach Italien fahren und Kunst studieren", er macht in Jura seinen "Summa cum laude", was sie "fürchterlich findet." Sie berichten über Liebschaften, Bindungen, Familiengründungen, Kinder, ihre Trennung, ihre Trunksucht. Belangloses wechselt mit Bedeutendem. Auch Eifersucht keimt auf, oft zwischen den Zeilen. Die Briefe sind für Melissa der Grund, weswegen sie nie enger zusammenkommen können. "Wir sind in den Briefen wie zwei Menschen, die wir eigentlich nicht sind", schreibt sie. Für ihn aber sind sie "ein Geschenk. Du kannst sie zerreißen, wegwerfen - oder lesen, wenn du willst, bis zu deinem Tod." Sie haben poetische Symbolkraft, sind bleibende Anker im Strom der Zeit, die gnadenlos verläuft: Noch Jahrzehnte später schreiben sie sich, und als er in die Politik geht, kommt es zu einer kurzen Leidenschaft, die er abrupt unterbricht. Den letzten Brief schreibt er an ihre Mutter, in welchem er sein Beileid zum Tode Melissas ausdrückt und ihr bekennt, wie sehr er sie geliebt hat. Sie war das Herz meines Lebens. Diese ergreifenden Momente darf sie in ihrer nonchalant-sachlichen Art konterkarieren. Hör auf damit, unterbricht sie ihn harsch, um ihm dann ein letztes Adieu zu geben. Dooleys Wilsons "As Time goes by" erklingt als melancholisch-schöne Abschlussmusik.

Keine Frage: Lesch & Welsch haben mit einfachen Mitteln starkes, brillantes Theater abgeliefert, vielleicht das beste seit Langem im Kammerspielchen. Durch ihre elegante, ohne aufgetragenes Pathos dargebotene, konzentrierte, oft humorig konterkarierte Tiefe war ihre Darbietung authentisch und nie nur annähernd kitschig. Die intime Atmosphäre des kleinen Kammerspielchens trug viel zur Atmosphäre bei. Es war eine Liebe von vielen im Strom der modernen Zeiten, die kam, ging - und unterging. Die groß war, gerade weil sie unerfüllt blieb.

(RP)
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