Solingen Kaleidoskop der Emotionen im Konzertsaal

Solingen · Im 9. Philharmonischen Konzert präsentierten die Bergischen Symphoniker Meisterwerke von Sergei Prokofjew.

Muss man sich fürchten vor großer Musik? Nein! Zweifler warfen beruhigende Blicke ins Programmheft. "Keine Angst vor Prokofjew" heißt es darin, und in ihrer Einführung zerstreute Astrid Kordak Restbedenken. "Der für modernistische Schärfe und harte Dissonanzen berüchtigte Prokofjew", befand sie, "konnte verdammt melodisch sein." Sie sollte Recht behalten.

Die Bergischen Symphoniker servierten drei Werke des großen Russen. Und zeigten ihn als Meister des Gefühls, aber auch der Dramatik und Abgründe. Solist war der 1. Konzertmeister Mihalj Kekenj, am Pult stand Fawzi Haimor. Die Symphoniker haben in neun Jahren unter GMD Kuhn viel an Klangdichte, Ausdrucksstärke und technischer Präsenz dazugewonnen. Und der in Chicago geborene Kosmopolit Fawzi Haimor gilt als Individualist mit Sinn für Nuancen wie für große Leidenschaften, der sich für das 19. und frühe 20. Jahrhundert stark macht.

Dass dies eine ideale Verbindung ist, war bei diesem Konzert von Anfang bis Ende spürbar. Die Cinderella-Suite war der ideale Beginn: luftig, filigran vorgetragen, ohne falsches Pathos. Nach dem flotten wie kraftvollen, elegant rhythmisierten Beginn floss ein Kaleidoskop der Emotionen mit großer Selbstverständlichkeit dahin. Toll entwickelte Phrasierungen, tänzerische Momente und humoristische Sequenzen verschmolzen im feinfühlig ausdifferenzierten Spiel zur atmosphärisch dichten Einheit.

Dem verträumten Prokofjew folgte der Virtuose. Beim Violinkonzert Nr. 1 übertrug Prokofjew die Brillanz des Konzertflügels auf die Geige. Dennoch machte Mihalj Kekenj aus dem mit technischen Fallstricken gespickten Solopart keine "Zirkusnummer", sondern kostete auch die lyrischen Abschnitte sensitiv aus: Die klangliche Raffinesse des ersten Satzes rückte er gar in die Nähe des Klangmagiers Debussy, dem er ein rasches, sehr leichtfüßiges Scherzo folgen ließ.

Im dritten kam es auf der Basis drängend-rascher Rhythmik und marschartiger Momente zum komplexen Dialog von Solist und Orchester: großartige Crescendi, satte Fortissimos, hochdynamische Kontraste - das war ein Fest fürs Ohr. Die technischen Finessen - von rasenden Läufen über Pizzicato-Wechsel bis zum Flageolet - meisterte Kekenj sehr souverän.

Für tosenden Beifall bedankte er sich mit dem ersten Satz aus der zweiten Sonate Ysayes, der ein Bach-Thema und das Dies-irae-Motiv in rasenden 16teln dahinhuschen lässt - das war Tonmagie pur.

Nach der Pause erklang mit der Romeo-und Julia-Suite op. 64 der abgründige Prokofjew. Was beeindruckte, war vor allem die überzeugend inszenierte, konsequent entwickelte innere Dramaturgie. Schon der Beginn "saß": Nach einem dreimal mit einer fast an Schostakowitsch gemahnenden Intensität hochgefahrenen crescendo ließ die symphonische Breite des legendären Themas der "Montagues & Capulets" keinen Zweifel über das aufkommen, was folgen sollte - ein gigantischer emotionaler Spannungsbogen. Getragen von der Tragik der Shakespeareschen Vorlage, aber nicht abhängig von dieser und auch gut als absolute Musik zu erleben. Der Streichersatz bei "Julia als Kind" war klar und verhalten lyrisch, die Solostimmen akzentuiert. Tybalts Untergang förderte einen starken Bläser-Streicher-Dialog zutage mit satten rhythmischen Akzenten, und am Grab Julias stimmten die Streicher einen Trauergesang von sphärischer Schönheit an. Das war ein rundes Erlebnis: eben große Musik.

(sto)
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