Neues Leben Getaway-Abschied mit Wehmut und Vorfreude

Solingen · Wenn Ende Februar der letzte Diskotheken-Besucher mit dem sprichwörtlichen Kloß im Hals den Keller an der Kottendorfer Straße verlässt, endet auch für Betreiber Jürgen Ries ein fast vier Jahrzehnte währender Lebensabschnitt.

 Bei aller Wehmut, dass sie Ende Februar das Getaway schließen werden, freuen sich Betreiber Jürgen Ries und seine Lebensgefährtin Annette Zahn auf die Zeit danach: "Wir können dann soziale Kontakte pflegen", sagt der 60-Jährige.

Bei aller Wehmut, dass sie Ende Februar das Getaway schließen werden, freuen sich Betreiber Jürgen Ries und seine Lebensgefährtin Annette Zahn auf die Zeit danach: "Wir können dann soziale Kontakte pflegen", sagt der 60-Jährige.

Foto: Stephan Köhlen

Vom Mitglied einer populären Musikgruppe über den Macher einer Fernsehshow bis zum Betreiber einer Gaststätte oder Diskothek kennt wohl jeder diesen Effekt: Wenn sich die Nachricht vom Ende herumspricht, steigt plötzlich wieder das öffentliche Interesse. Diese Erfahrung macht derzeit auch Getaway-Geschäftsführer Jürgen Ries. "Seid raus ist, dass wir schließen, ist der Andrang wieder größer geworden." Viele Besucher, die ansonsten nicht mehr regelmäßig in die Disco gegangen sind, denken sich: "Da müssen wir noch mal hin."

Kein Wunder: Schließlich nahmen im "Get" Beziehungen ihren Anfang, wurden Freundschaften geschlossen - und manch eine Anekdote aus turbulenten Nächten hat Jahrzehnte überdauert. "Manche Stammgäste begleiten uns seit über 30 Jahren", erzählt Ries. Lebensgefährtin Annette Zahn, die selbst in der Diskothek arbeitet. "Hier darf eben jeder Gast sein, wie er ist." Damit wird es bekanntlich Ende Februar vorbei sein - veränderte Gewohnheiten und Konkurrenz-Angebote machten den Betrieb einer Solinger Diskothek in dieser Größe auf Dauer immer schwieriger.

Die persönliche Geschichte von Jürgen Ries im Getaway begann im Frühjahr 1980 als Mitarbeiter der jungen Rock-Disco, die damals noch ihre Gäste ins Tal der Wupper nach Glüder zog. "Ich hatte vorher in Bergisch-Gladbach gewohnt und wollte wieder zurück in meine Heimatstadt Solingen", erklärt Ries. Zu dieser Zeit, mit Anfang 20, nahm er in Wuppertal ein Studium der Wirtschaftswissenschaften auf. Doch das Leben hatte andere Pläne mit ihm: "Der Vorbesitzer des Get musste aufgeben und fragte, ob jemand das übernehmen könne", erinnert sich der heute 60-Jährige. Und er fügt schmunzelnd hinzu: "Ich war damals jung genug und habe es probiert." Die intensive Arbeit in der Disco ließ ein paralleles Studium nicht mehr zu. Doch dafür etablierte sich das Get immer mehr als Anlaufpunkt für Musikfreunde - und lockte die Gäste bis zum Umzug nach Ohligs in der Regel an mindestens vier Tagen auf die Tanzfläche.

"Natürlich war es anstrengend, aber das gehörte dazu", sagt Jürgen Ries. Nachdem der Pachtvertrag in Glüder nicht verlängert wurde, ging es nahtlos in der alten Beckmann-Brauerei an der Kottendorfer Straße weiter. "Ich hatte den Tipp gekriegt, dass der Eigentümer daraus eine Veranstaltungshalle machen will", berichtet Ries. Und auch im charmanten Backstein-Bau in Bahnhofsnähe haben inzwischen ganze Generationen von Solingern und auswärtigen Besuchern ihre Freude am Tanzen und Feiern entdeckt. Neben den unzähligen rauschenden Disco-Nächten war das Get schließlich auch Schauplatz diverser Live-Auftritte. Logisch, dass Ries dabei über einen gigantischen Schatz an Erinnerungen verfügt: "Da gibt natürlich tausend Kleinigkeiten, an die man gerne denkt." Als besonderes Highlight hebt er jenes Festival hervor, bei dem 1993 über einen ganzen Tag hinweg rund 40 Bands im gemeinsamen Einsatz gegen Rassismus auf die Bühne gingen.

Bis zur Jahrtausendwende ging das Konzept auf. Dann brach allmählich die Zeit der Motto- und Flatrate-Parties an, mit denen andere Anbieter den Diskotheken Konkurrenz machten. Die Stoßzeiten, an denen viele Gäste in die Disco pilgerten, wanderten immer weiter Richtung Mitternacht. "Es wurde immer schwieriger, den Laden über mehrere Tage im Monat voll zu kriegen", betont Ries - deswegen also nun das Aus mit dem Ende des Pachtvertrages.

Das Mobiliar wird nach und nach die Besitzer wechseln: Jeden Donnerstag zwischen 17 und 22 Uhr gibt es einen Trödel, in dem sich die Gäste Erinnerungsstücke für die heimischen vier Wände sichern können. "Das reicht vom Toilettenspiegel über den Kondom-Automat bis zu Hinweisschildern", sagt Annette Zahn. Das Interesse an Gegenständen, die noch bis Februar gebraucht werden, können die Besucher auf einer Liste hinterlegen. Ein bis zwei Sachen werde auch er selbst für sich reservieren, verrät Ries.

Wie genau der letzte Abend im Get aussehen wird, verrät der Inhaber noch nicht: "Wir arbeiten noch am Programm." Fest steht allerdings: "Es werden sicherlich schwierige Momente für uns." Doch bis dahin ist noch jede Menge zu tun - der laufende Betrieb kostet weiterhin viel Energie: Da sind Bestellungen für neue Waren aufzugeben, Reparaturen zu erledigen, Veranstaltungen zu organisieren, und auch an den Abenden ist der Chef in aller Regel präsent. "An manchen Tagen bin ich acht Stunden vor Ort. An anderen, wenn abends eine Veranstaltung erst um 23 Uhr losgeht, auch bis zu 20 Stunden."

So gewinnen er und Annette Zahn, bei aller Wehmut, dem Ende der gastronomischen Ära auch Positives ab: "Wir können soziale Kontakte pflegen, auf Hochzeiten fahren, zu denen wir eingeladen wurden, und uns um die Enkelkinder kümmern", richtet Zahn den Blick in die Zukunft. Eines stellt ihr Lebensgefährte klar: "Wir werden aber wohl nicht jedes Wochenende in irgendwelche Clubs fahren."

(ied)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort