Solingen Feindbild - dringend gesucht

Solingen · Viel Jubel im Pina-Bausch-Saal des Theater und Konzerthauses: Das Theaterprojekt des Mildred-Scheel-Berufskollegs brachte das Stück "Katzelmacher" von Rainer Werner Fassbinder in einer aktuellen Version auf die Bühne.

Beflissen stempelt der Beamte die Dokumente. Vor ihm sitzt ein türkisches Ehepaar, das die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt hat. "Sind sie bereit, die deutsche Leitkultur anzunehmen?", fragt der Bürokrat. "Mitglied im Schützenverein werden? Zweimal in der Woche Schweinefleisch essen? Sonntags ,Tatort' gucken und im Urlaub nach Mallorca fliegen?" Ja, das wollen die beiden. "Sie sind jetzt Deutsche." Diese Szene steht natürlich nicht im Stück. Sie gehört zu den Stellen, die sich die Schüler ausgedacht und in das Werk eingefügt haben. Das Theaterprojekt des Mildred-Scheel-Berufskollegs hat am Mittwoch in einer sehr beachtlichen Aufführung das Schauspiel "Katzelmacher" von Rainer Werner Fassbinder auf die Bühne des Pina-Bausch-Saals im Theater gestellt. Vom überwiegend jugendlichen Publikum wurde die Produktion begeistert aufgenommen und bejubelt.

"Die Schüler haben in knapper Zeit großartig gearbeitet", sagt Regiemitarbeiterin Johanne Buyken. "Sie haben sich intelligent mit Thema und Stück auseinandergesetzt." Mit der Regisseurin Kathrin Sievers arbeitet die Schule nun schon zum zweiten Mal zusammen. Acht Theaterstücke hat es mittlerweile gegeben. "Wir besprechen zuerst ein Thema und suchen dann dazu ein Stück aus", erläutert Sievers. Und das Thema was diesmal Rassismus. "Das Werk von Fassbinder ist schon alt, aber es trifft immer noch die politische Debatte." Und was den 40 Schülern auf der Bühne - egal ob Hauptperson oder Statist - gelungen ist, ist das Kunststück, aus Fassbinders düsterem Text von 1968 eine hochaktuelle Satire zu machen. Drei mächtige Biertische nehmen die Bühne ein. Denn auch Biertrinken gehört zur Leitkultur. An ihnen spielt die Geschichte des Griechen Jorgos, der als erster Gastarbeiter in die dumpfe Idylle eines bayerischen Dorfes kommt. Er ist der Katzelmacher, ein abfälliger Name für Gastarbeiter. Die sepplbehosten Männer sehen einen Konkurrenten in ihm, die bedirndelten Dorffrauen verlieben sich. Bald wird der Fremde als Kommunist und Vergewaltiger denunziert. Mordpläne werden geschmiedet: "Der muss weg! Weil wir unsere Ruhe wollen."

Die finstere Geschichte aus der dumpfen, deutschen Provinz wird aufgebrochen durch neu eingefügte Szenen und Videoeinspielungen. So marschieren Schüler als "Peggyda"-Demonstranten auf die Bühne. "Merkel muss weg" oder "Multikulti stoppen" steht auf den Plakaten. "Die Angsträume werden größer in diesem Land", schwadroniert eine Teilnehmerin. Dann sonnt sich im Blitzlichtgewitter der "Lügenpresse" der bayrische Innenminister: "Roberto Blanco ist doch ein ganz wunderbarer Neger." Das P im Wort Pegida auf dem Plakat ist als Galgen gestaltet. "Kartoffeln statt Döner." Schüler und Regisseurin schaffen es nicht nur, die bierselig grölenden Dorfmänner und die naiv bis intriganten Dorffrauen der Fassbinder-Geschichte auf die Bühne zu stellen, sondern mit ihren originellen Einfügungen klar zu machen, wie nahe Satire an den Schrecken der Realität liegen kann.

Da werden die Vorurteile gegenüber allen Nationalitäten überspitzt in Szene gesetzt. "Der Türke ist ein Familienmensch: je mehr Kinder, desto mehr Kindergeld." Und der Spanier ist ein Paella fressender Stiermörder. "Feindbild dringend gesucht": So lautet denn auch der Untertitel, der von der Theatergruppe dem "Katzelmacher" hinzugefügt wurde.

Der Jubel im Publikum zeigt nicht nur, dass die Botschaft angekommen ist. Der Beifall ist auch eine Reaktion auf die tolle Leistung aller auf und hinter der Bühne. Die Schüler haben es auf beeindruckende Weise verstanden, ein ernstes, manche von ihnen selbst betreffendes Problem modern und unterhaltsam und doch mit echter Tiefe umzusetzen.

(RP)
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