Solingen Eifrige Stadion-Ordner und untreue Taxifahrer

Solingen · Zehntausende Deutsche machten sich am Sonntag auf den Weg zum EM-Auftakt gegen die Ukraine ins nahe Lille - unter ihnen auch einige Solinger. Ein Erfahrungsbericht von vier befreundeten Fans.

 Im Fußball-Fieber waren ebenso die Fans im Theater und Konzerthaus. Beim Public Viewing jubelten sie beim Spiel der Löw-Elf gegen die Ukraine.

Im Fußball-Fieber waren ebenso die Fans im Theater und Konzerthaus. Beim Public Viewing jubelten sie beim Spiel der Löw-Elf gegen die Ukraine.

Foto: Köhlen Stephan

Unsere persönliche EM-Mission beginnt mit einem kleinen Missverständnis: Während ich am dunstigen Sonntagmorgen mit meiner Tasche zu Jürgens Wohnung stapfe, wartet der mit seinem Auto schon vor meiner Haustür. "Ich hatte doch gesagt, dass ich Dich abhole", erinnert er mich. Da war ich wohl in Gedanken schon beim ersten Vorrundenspiel der deutschen Nationalelf bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich gewesen. Sei es drum: Der Zeitverlust hält sich in Grenzen, schließlich sind wir - Jürgen, Michael, Robert und Alex - schon um halb neun am Morgen unterwegs. Unser Ziel: Villeneuve-d´Ascq, Nachbarstadt von Lille in der nordfranzösischen Region Nord-Pas-de-Calais. Dort steigt mehr als zwölf Stunden später das Spiel der Löw-Elf gegen die Ukraine.

Zunächst steuern wir jedoch unser Basislager an, ein Hotel im belgischen Tournai, wenige Kilometer von der französischen Grenze entfernt. Schon früh laufen uns in der Stadt mit ihrem prachtvollen historischen Kern die ersten Landsleute in schwarz-weißen Trikots über den Weg. Während zu lauter Musik aus dem Autoradio die ersten Kaltgetränke durch die Kehle rinnen, verrät uns ein Essener kurze Zeit später, er habe für die 30 Kilometer lange Fahrt ins Stadion und zurück ein Taxi gebucht.

"Aber für die Rückfahrt habe ich kurzfristig eine Absage bekommen", ärgert er sich.

Wir Solinger fahren mit Jürgen am Steuer über die offene Grenze und stehen nach reibungsloser Anreise um 17 Uhr im Parkhaus - vier Stunden vor dem Anpfiff. Mit bereits jetzt tausenden Fans ziehen wir zum Stade Pierre Mauroy, dessen eleganter Anblick nur durch quadratische Hotels im Umfeld etwas gestört wird. Vor der 50.000-Zuschauer-Arena treten wir zum ersten Gruppenfoto an.

Die Meldungen über Ausschreitungen in der Innenstadt von Lille erreichen uns, am Stadion selbst bleibt jedoch bis zum Ende des Tages alles friedlich und entspannt. Um 18 Uhr ist Einlass, und wir gelangen zügig in den Stadion-Innenraum, was allerdings auch daran liegt, dass sich die zuvor viel beschriebenen Sicherheitskontrollen kaum von denen eines gewöhnlichen Bundesligaspiels unterscheiden. Vielleicht ändert sich das ja noch im Verlauf des Turniers. Auf der Anzeigetafel des schicken, 2012 erbauten Stadions können wir das Duell unserer Gruppengegner Polen und Nordirland verfolgen. Später feiern wir, wie üblich, die Mannschaft beim Aufwärmen, dann geht es nach langer Wartezeit endlich los: Die Hymnen erklingen und zum Anpfiff singen sich beide Fanlager Mut an.

Für leichte Irritationen sorgen die teilweise orientierungslos wirkenden Ordner, die die Zuschauer energisch zum Hinsetzen während des Spiels auffordern. Diesen Wunsch mögen ihnen aber weder die deutschen noch die ukrainischen Schlachtenbummler erfüllen - zumal mit Shkodran Mustafis Führungstor für Deutschland erst einmal alle Dämme brechen.

Danach bricht allerdings die Zeit des Nägelkauens an. Denn das ukrainische Team um die Stars Andriy Yarmolenko und Evgen Konoplyanka bringt uns in der ersten Halbzeit durch Konter und Standardsituationen ein ums andere Mal ins Schwitzen. Am Ende erlöst uns Bastian Schweinsteiger nach Vorarbeit von Mesut Özil und verschafft sich mit seinem ersten Ballkontakt einen Einstand nach Maß in sein siebtes großes Turnier.

Ein hoch gewachsener ukrainischer Fan beglückwünscht uns zum Auftaktsieg, wir bekunden unseren Respekt vor dem guten Spiel seiner Mannschaft. Nach der Rückfahrt zum Hotel treffen wir auf dem Parkplatz auch den Essener wieder. Er hat es doch noch geschafft, ein Taxi zu organisieren. "Zum Achtelfinale komme ich wieder", erzählt er beim Schlummertrunk. Das könnte - im Falle eines deutschen Gruppensieges - wieder in Villeneuve-d´Ascq stattfinden. Zunächst braucht es dazu aber erst einmal ein gutes Spiel gegen Polen am Donnerstag in Paris - das nächste Ziel unserer gemeinsamen EM-Mission.

(ied)
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