Solingen Denkmal für vergessene Künstler

Solingen · Die Ausstellungen des neu eröffneten "Zentrums für verfolgte Künste" im Kunstmusem Solingen stoßen bei den Besuchern überwiegend auf Anerkennung. Heute und morgen ist der Eintritt frei.

Schon kurz hinter dem Eingang fällt der Blick der Besucher auf ein großes schwarz-weißes Banner. Es zeigt einen Jungen auf einer kleinen Erdkugel, der seinen ratlos dreinblickenden, in Sträflingskleidung gewandeten Vater auffordert: "Zeichne mir eine Familie !" Die Zeichnung verweist auf Michel Kichkas Graphic Novel "Zweite Generation. Was ich meinem Vater nie gesagt habe", die das Zentrum für verfolgte Künste als Sonderausstellung im Erdgeschoss zeigt. Die Auseinandersetzung der Nachfolgegenerationen mit dem Schicksal der Eltern und Großeltern in der Zeit des Nationalsozialismus ist ein Kernmotiv zum Auftakt des Zentrums, das am Dienstag offiziell eröffnet wurde.

Die Ausstellung "Der Tod hat nicht das letzte Wort" etwa setzt bewusst die Kinder und Enkel von Holocaust-Überlebenden in Bezug zu den Orten des Schreckens - wie der Film "Dancing Auschwitz" von Jane Kormans, der ganze Familien zu den Klängen von Gloria Gaynors "I will Survive" in früheren Konzentrationslagern tanzen lässt.

 Michal Tal vom Museum der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem stellte bei der Eröffnung die Sonderausstellung "Spots of Light" vor.

Michal Tal vom Museum der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem stellte bei der Eröffnung die Sonderausstellung "Spots of Light" vor.

Foto: Köhlen

"Das fand ich sehr schön, weil es den Triumph über den Tod zeigt", verrät Besucherin Gisela Brusis. Für die Kölnerin ist es die erste Besichtigung des Kunstmuseums Solingen. Auch in der rheinischen Metropole hat sie sich stets über die Entwicklung des Zentrums für verfolgte Künste auf dem Laufenden gehalten. Durch die Ausstellungen wandelt sie gemeinsam mit ihrer Bekannten Ingeborg Heidler. Deren Bezug zum Thema rührt auch aus der persönlichen Familiengeschichte: "Mein Vater ist in Dachau gestorben", berichtet sie.

Allerdings gibt es auch kritische Nachfragen zu den Sonderausstellungen: Warum das Zentrum für verfolgte Künste anlässlich seiner Eröffnung speziell der Aufarbeitung des Holocaust durch Gegenwartskünstler einen derart großen Raum gebe, wollen einige Besucher von Museumsdirektor Dr. Rolf Jessewitsch wissen. "Es geht uns darum, den Kontext zu zeigen, in dem viele Werke entstanden sind", betont der - und erntet Zustimmung anderer Beobachter: "Das ist zur Vertiefung dessen, was man in der Ausstellung vorfindet, sehr gut", urteilt etwa Isa Ferch, die bereits öfter die Sammlung im Kunstmuseum durchstreifte.

"Viele Werke sind damals untergegangen und deshalb nicht so bekannt, aber von der Qualität vergleichbar mit denen von öfter gezeigten Künstlern", sagt Ehemann Rolf-Dieter Ferch. Das Zentrum müsse daher auch den Vergleich mit anderen Museen, die ebenfalls verfemte Kunst zeigen, nicht scheuen. Zugleich hebt Ferch auch den lokalen Bezug einiger Exponate hervor: "Zum Sammlungsbestand gehören schließlich auch Solinger wie Ernst Walsken, August Preuße oder Willi Deutzmann."

Die zwei Säulen des Zentrums sind die Literatursammlung "Die verbrannten Dichter" als Leihgabe der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft und die Werke der Bürgerstiftung für verfolgte Künste mit der Sammlung Gerhard Schneider. Sie nehmen sich vielfach vergessener Künstler an. Wie zum Beispiel Milly Steger, die einst als bedeutendste deutschen Bildhauerin galt - bis die Nationalsozialisten einige ihrer Plastiken als "entartet" aus der Öffentlichkeit verbannten.

Einige Bilder der Sammlung muten zunächst unpolitisch an, zeigen Landschaften oder Straßenzüge. Andere setzen sich pointiert mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auseinander - wie das Ölgemälde "Der Sieger" von Georg Netzband, das sich ins Gedächtnis der Beobachter einbrennt: Ein Skelett in Uniform nimmt, auf einem Berg von Leichen stehend, eine triumphale Pose ein und betrachtet stolz die totale Zerstörung um sich herum. "Es ist erstaunlich, wie früh manche Maler vorausgesehen haben, was passieren wird", sagt Besucherin Renate Puvogel. Die Schreckensvision schuf der Künstler bereits drei Monate vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs. Netzband rettete viele seiner heimlich gemalten Bilder, indem er sie im Garten vergrub, andere Künstler konnten sich nicht gegen die Vernichtung ihrer Schöpfungen wehren - wie auch die Schriftsteller, mit denen sich die Literatursammlung "Die verbrannten Dichter" befasst. Sie beinhaltet Werke, die von den Nationalsozialisten zerstört wurden, aber auch solche aus der Intellektuellenszene in der DDR.

"Die Zusammenstellung ist sehr beeindruckend", findet Rolf-Dieter Ferch. Eine Kritik hat er aber doch beim Blick durch die Gänge anzumelden: "Es sind zu wenige Besucher hier."

(ied)
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