Solingen Das geregelte Leben nach der Flucht

Solingen · Vor einem halben Jahr berichteten wir über Amer Ali, der nach einer eindrucksvollen Spendenaktion drei seiner Kinder nach einer dramatischen Flucht nach Solingen holen konnte. Jetzt haben wir die Familie aus Syrien wiedergetroffen.

Jan, Hamza und Sherin sind Kinder wie alle anderen. Jan, mit acht Jahren der Jüngste, tanzt gerne, mag seine Lehrerinnen in der Klasse 2c der Grundschule Scheidter Straße und freut sich über seine neuen Freunde. Hamza, 12, liebt Malen und Fußballspielen, sein Lieblingsfach an der Hauptschule Krahenhöhe ist Deutsch, er bewundert Christiano Ronaldo. Sherin, 17, die Älteste, unternimmt manchmal etwas mit Schulfreunden, sie findet Deutsch und Englisch gut und die Friseurstunden, die sie in ihrer Klasse am Mildred-Scheel-Berufskolleg hat.

Jan, Hamza und Sherin sind aber auch Kinder, die im Krieg ihre Mutter verloren haben, hinter denen eine dramatische Flucht quer durch Syrien bis in den vermeintlich sicheren Libanon liegt und die nun seit fast genau sechs Monaten gemeinsam mit ihrem Vater Amer Ali um so etwas wie einen Alltag und Normalität ringen. Als politischer Flüchtling hatte der Vater seine Familie vor rund zweieinhalb Jahren in Syrien zurücklassen müssen, im November war es ihm mit der Unterstützung etlicher Helfer aus Solingen und einer eindrucksvollen Spendenaktion gelungen, die Kinder in die Klingenstadt zu holen (wir berichteten).

"Es geht uns gut, es läuft alles, wie es laufen sollte", sagt Amer Ali, sechs Monate nachdem er Jan, Hamza und Sherin wieder in die Arme schließen konnte. "Es ist gut, dass ich mit meinen Kindern hier in Deutschland sein kann". Im Februar ist die Familie in eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Innenstadt gezogen, sie ist hell und freundlich eingerichtet, sehr aufgeräumt, in einem Käfig zwitschern Vögel. Jeden Morgen machen sich Jan, Hamza und Sherin auf den Weg in die Schule, in sogenannten Auffangklassen lernen sie nun vor allem erst einmal Deutsch. Sie lernen schnell - und sie lernen gerne: "Wir lieben Schule", sagen alle drei, die anstehenden Sommerferien bedeuten für die Geschwister deswegen auch keinen Grund zur Freude. "Wenn wir nicht in die Schule gehen, können wir ja nicht Deutsch lernen", sagt Sherin.

Mittags wird zusammen gegessen, der Vater kocht für die Kinder, am Nachmittag gehen sie in der Stadt spazieren, manchmal spielen die Jungs irgendwo Fußball, Hamza würde gerne in einem Verein kicken. Sie sind aufgeschlossene, freundliche Kinder, neugierig und interessiert, manchmal überwältigt von dem, was ihr neues Leben für sie bereit hält. Mit seiner Klasse ist Hamza in der vergangenen Woche im Phantasialand gewesen. "Sowas habe ich noch nie gesehen", sagt der Junge. "Er war außer sich, als er wieder kam", sagt sein Vater. Ein ruhiger Mann, der sehr liebevoll mit seinen Kindern umgeht. Ab August wird auch er zur Schule gehen, um besser Deutsch zu lernen. Bis vor einem halben Jahr, sagt Amer Ali, sei sein Kopf voll gewesen mit der Sorge um seine Kinder, fast verrückt geworden sei er, da sei es unmöglich gewesen zu lernen. Jetzt traut er es sich zu.

"Hier ist alles gut", sagt Jan. "Jetzt leben wir im Frieden", sagt Hamza. "Ich denke schon manchmal daran, was wir erlebt haben", sagt Sherin. Die Erinnerung an Krieg und Leid, Bedrohung und Angst, die Sorge um Freunde und Verwandte in der Heimat, sie sind auch in der Sicherheit, die ihr neues Leben bietet, immer da - umso mehr, da der 15-jährige Sohn nach wie vor in Syrien ist. Er war auf der Flucht der Kinder im Libanon verschleppt worden, etliche Wochen später schaffte er es zurück zu Angehörigen.

Fatima Khodr, Edelmira Zarniko und andere Helfer der Willkommensgruppe, einer Anlaufstelle für Flüchtlinge im Mehrgenerationenhaus, versuchen nun, auch das vierte Kind der Familie nach Deutschland zu holen. "Unser Bruder soll kommen, dann ist alles gut", sagt Sherin.

(mxh)
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