Solingen Appell: Mehr Lehrer für die Inklusion

Solingen · Jens Merten vom Lehrerverband VBE und Wolfgang Sinkwitz von der Stadtschulpflegschaft fordern bessere Bedingungen für den gemeinsamen Unterricht. Ihre Beobachtung: Eltern wenden sich vom gemeinsamen Lernen ab.

Die Illusion von der Inklusion im Klassenzimmer stellt Schulen, aber auch Eltern und Kinder auf eine Belastungsprobe. Dies befürchten Jens Merten und Wolfgang Sinkwitz. Unter den gegebenen Voraussetzungen, bei denen der Lehrer viel zu häufig alleine vor der Klasse stehe, statt von einem Sonderpädagogen für die Kinder mit Förderbedarf unterstützt zu werden, könne Inklusion nicht funktionieren, betonen sie im Gespräch mit unserer Redaktion.

Aus Sicht des Vorsitzenden des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung (VBE) beziehungsweise des Stadtschulpflegschafts-Vorsitzenden muss dringend gegengesteuert werden. "Wir stehen kurz vor dem Kollaps", mahnt VBE-Stadtverbandsvorsitzender Merten. Sinkwitz beobachtet: "Eltern sind besorgt. Sie erleben, dass es nicht funktioniert."

Nach seiner Einschätzung gilt das in beide Richtungen, weil unter den Voraussetzungen nicht allen Schülern im Unterricht gerecht werden kann: "Eltern sehen vor allem später in den höheren Klassen den Lernstoff für einen möglichst guten Schulabschluss gefährdet. Zugleich fühlen sich die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf vom Lernpensum der Klasse abgekoppelt und ausgegrenzt." Der VBE-Mann nennt als Beispiel, dass leistungsorientierte Eltern sehr wohl sehen würden, dass ein Kind die ganze Klasse aufhält, weil es Schwierigkeiten hat, sich in der Gruppe zurechtzufinden."

Merten ist Grundschullehrer in Solingen, hat Erfahrung mit dem gemeinsamen Unterricht. Doch die anfangs noch übliche Doppelbesetzung mit obendrein kleineren Klassen, in denen sich ein Lehrer und ein Sonderpädagoge um die Kinder kümmerten, ist nach seinen Worten seit einigen Jahren spürbar zurückgefahren worden.

Zugleich, ergänzt Elternvertreter Sinkwitz, sind Lehrer an den Förderschulen abgezogen worden, so dass diese Schulform geschwächt wird. Jedenfalls ist in Solingen von einst drei Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernbehinderung inzwischen lediglich eine übriggeblieben.

Jens Merten sowie Wolfgang Sinkwitz sprechen sich indes keineswegs für den Stopp der Inklusion und dem Zurück in die Vergangenheit aus. Sie fordern aber, ausreichend personelle und sachliche Voraussetzungen zu schaffen für den gemeinsamen Unterricht mit Kindern. Zugleich müssten die Förderschulen gestärkt werden. Dann könnten Eltern wählen, wohin sie ihr Kind schicken, sagt Sinkwitz. Für Merten ist dies auch deshalb notwendig, weil eben nicht alle Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in das System des gemeinsamen Lernens passen.

Inzwischen reagieren Mütter und Väter nach ihren Worten längst und nehmen ihre Kinder aus Inklusionsklassen, um sie zur Förderschule zu schicken: In den Klassen 5 und 6 geschehe dies verstärkt. "Das zeigt einen Trend: Die Abkehr der Eltern von der Inklusion". Sie seien unzufrieden, weil die Betreuung wegen zu großer Klassen in dem Maße nicht gegeben sei.

"Wir haben zu wenig Lehrer. Das Problem können wir in Solingen allerdings nicht lösen", erklärt Jens Merten. Wolfgang Sinkwitz wertet dies ebenso und sieht Handlungsbedarf beim Land: "Der mächtigste Mann in der Schulpolitik ist der Finanzminister."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort