Rommerskirchen Über Selfies und die Lethargie des Volkes

Rommerskirchen · Der Leipziger Kabarettist Mathias Tretter überzeugte mit viel Wortwitz im Eckumer Kultur-Café.

 Legte einen gelungenen Auftritt hin: Mathias Tretter.

Legte einen gelungenen Auftritt hin: Mathias Tretter.

Foto: Inka Meyer

Wer bisher Selfies für eine zwar nervige, aber vorübergehende Modeerscheinung gehalten haben sollte, konnte sich im Kultur-Café von Mathias Tretter eines Besseren belehren lassen. Für den Würzburger Kabarettisten mit Wohnsitz in Leipzig ist der geradezu zwanghafte Trend zur Selbstinszenierung eher ein Symptom für den bevorstehenden Weltuntergang.

Selbst Systemadministratorinnen und Kindergärtner präsentieren nach seiner Beobachtung heutzutage Lebensläufe und Hobbys, wie man sie vormals nur aus der Regenbogenpresse kannte. Hinzu kommen gestylte Selbstporträts im Netz, die Kate Moss und George Clooney "aussehen lassen wie fränkische Jugendherbergseltern". Nicht nur in Politik, Wirtschaft, Medien und Kultur erreicht der Drang zur Selbstbespiegelung bislang unbekannte Dimensionen, gerade auch das Private ist zunehmend zum Schauplatz einer grotesken Überhöhung des eigenen Ichs geworden. Wo das Schamgefühl abhanden kommt, ist der pure Schwachsinn nicht weit. All dies hat den Träger des Deutschen Kabarettpreises wie des Deutschen Kleinkunstpreises für sein aktuelles Programm mit Munition zuhauf versorgt und die verschießt er genüsslich und mit Wortwitz. Auch seine beiden Freunde "Ansgar" und "Rico" spielen ihre Rolle, so etwa dann, wenn es um "Postdemokratie" geht, einen zentralen Begriff in Tretters Programm. Gemeint ist das Fortbestehen aller als demokratisch geltenden Institutionen bei weitgehender politischer Lethargie des Volkes. Der hat längst in der globalisierten Weltwirtschaft längst keinerlei Einflussmöglichkeiten mehr und macht auch nicht den Eindruck als ob er das allzu sehr bedauere.

Ein Höhepunkt: Tretter als "Religionsstifter", der im bekannten Dalai-Lama-Sound eine Patchwork-Religion präsentierte, die das Publikum teilweise zu (Lach-)Tränen rührte. Pfarrer Thomas Spitzer war nicht der einzige, der nach anhaltenden Lachanfällen erst einmal frische Luft schnappen musste.

(S.M.)
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