Nach Absage des Rosenmontagszuges Rheinberger wollen mit Flüchtlingen Karneval feiern

Rheinberg · Nach der Absage des Karnevalszuges versucht Rheinbergs Bürgermeister zu beschwichtigen. Andere Städte setzen auf Prävention, etwa durch Arabisch-Dolmetscher.

 Carsten Kulms, Paul van Holt und Thomas Stein vo Orsoyer Karnevals-Komitee stehen auf einem der Wagen, die in diesem Jahr in der Halle bleiben.

Carsten Kulms, Paul van Holt und Thomas Stein vo Orsoyer Karnevals-Komitee stehen auf einem der Wagen, die in diesem Jahr in der Halle bleiben.

Foto: Fischer, Armin (arfi)

Die Orsoyer Karnevalisten werden am Rosenmontag feiern - auch ohne Karnevalsumzug. Nach der Absage des Rosenmontagszugs, die bundesweit hohe Wellen geschlagen hatte, setzte sich der Vorstand des 1. Orsoyer Karnevals-Komitees (OKK) erst einmal zusammen und hat sich beraten. "Wir werden am Rosenmontag ab 11.11 Uhr eine Karnevalsparty im Zelt feiern", sagte gestern Präsident Paul van Holt. "Keine ,Jetzt-erst-recht-Party', wie wir es als erste Reaktion gesagt haben, sondern einfach eine schöne bunte Party in unserem Zelt."

Die Karnevalisten hatten ihren Zug abgesagt, weil die Stadt Rheinberg, zu der Orsoy gehört, in dieser Woche zum ersten Mal ein Sicherheitskonzept gefordert hatte. Das konnte der kleine Karnevalsverein mit rund 200 Mitgliedern so schnell nicht erstellen. Üblicherweise ziehen die Karnevalisten am Tulpensonntag, wegen ihres Zug-Jubiläums (33 Jahre) wechselten sie in dieser Session auf den Montag. Das erste Gespräch mit der Stadtverwaltung habe bereits im September stattgefunden, so Paul van Holt. Ein Sicherheitskonzept sei aber nie richtiges Thema gewesen, da "wir seit 1983 nie mehr als 4000 Besucher bei unseren Tulpensonntagszügen hatten". Ein Sicherheitskonzept sei erst ab 5000 Besuchern gefordert.

Die Stadt betonte, sie mahne das Konzept nicht allein wegen der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) mit 200 Flüchtlingen in Orsoy an. Wie Bürgermeister Frank Tatzel sagte, habe auch die Polizei völlig zu Recht darauf verwiesen, dass die ZUE unmittelbar am Zugweg liege. Darauf müsse man reagieren. "Nicht, weil in erster Linie von den Flüchtlingen Gefahr ausgehen könnte", so Tatzel gestern, "sondern weil dort Alkohol getrunken wird und von auswärtigen Gruppen eventuell Übergriffe auf das Asylbewerberheim und auf Flüchtlinge nicht auszuschließen sind."

Markus Jansen, Leiter der ZUE, hat eigentlich Urlaub, stand aber seinem Team und den derzeit 200 Asylbewerbern wegen der aufwühlenden Ereignisse gestern bei. Er wolle nicht, dass die Bewohner zum Spielball gemacht werden. "Sie haben zu der Entscheidung, den Karnevalszug abzusagen, nicht das Geringste beigetragen." Die Verunsicherung unter ihnen sei groß, auch weil die Ereignisse an Silvester auch bei ihnen nachwirkten. Deshalb, so Jansen, wehre er sich vehement dagegen, "alle Flüchtlinge pauschal unter ein Zelt zu stellen" und zu kriminalisieren. "Das nenne ich höchst unfair und letztlich gefährlich."

Petra Platzek, die im Pfarrheim St. Peter für die VHS Rheinberg einen Integrationskursus mit 15 Männern leitet, hat gestern Morgen hautnah erfahren, wie stark die Nachrichten viele Flüchtlinge belasten. "Die Angst geht um", so beschreibt sie ihren Eindruck. Einige Männer hätten ihr erzählt, dass sie nach der Absage an der Bushaltestelle standen und ein Autofahrer die Seitenscheibe runtergedreht, die Männer übel beschimpft und den Stinkefinger gezeigt habe. Petra Platzek hat ihren Kursusteilnehmern gestern erst einmal versucht zu erklären, was Karneval am Rhein eigentlich bedeutet. Sie habe ihnen geraten, "neutral zu bleiben und den Ball flach zu halten", wenn Ärger drohe.

Auch andere Kommunen machen sich Gedanken über die Sicherheit, sagen ihre Umzüge aber nicht ab. In Langenfeld nimmt zum Beispiel Ordnungsamtschef Christian Benzrath erstmals zwei Arabisch-Dolmetscher in sein Einsatzteam: "Damit sind wir für etwaige Zwischenfälle sprachlich gerüstet." Der Jurist betont indes, dass es sich um eine Vorsichtsmaßnahme handelt. "In Langenfeld hatten wir in Bezug auf die hier lebenden Flüchtlinge bisher keine Vorfälle, die uns Ereignisse wie in Köln befürchten ließen."

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Foto: Christoph Reichwein

In Remscheid setzt der neue Polizeichef Jochen Borst beim Lenneper Zug auf Präsenz: So soll Unterstützung der Bereitschaftspolizei angefordert werden. Mit dabei sei ein Beweissicherungstrupp, der mit Videokameras ausgerüstet sei. Im Fokus stünden aber allgemein alkoholisierte Gewalttäter, egal mit welchem ethnischen Hintergrund. Zudem gibt es in mehreren Polizeipräsidien und Kreispolizeibehörden, zum Beispiel Köln, Essen und Wesel, Urlaubssperren oder Dienstfrei-Sperren.

"Karneval muss möglich sein - auch in diesen Zeiten", sagt Stefan Schmitz, stellvertretender Vorsitzender des Voerder Karnevalsvereins und Organisator des Narrenzuges mit 40.000 Besuchern. Deshalb werde mit aller Härte bei Übergriffen eingeschritten. "Und das gilt für alle." Der Leverkusener Rat diskutiert am Montag über einen Bürgerantrag, in dem gefordert wird, die Karnevalszüge drastisch zu verkürzen - allerdings nicht aus Angst vor Ausschreitungen, sondern zum Schutz der Flüchtlinge. Die hiesigen Gepflogenheiten seien ihnen völlig fremd und könnten sie weiter traumatisieren, argumentieren die Antragssteller. Deshalb gehen die Karnevalisten in die Leverkusener Unterkünfte und erklären den Brauch. Das ist auch in Mönchengladbach der Fall, wo auch wieder mehrsprachige Infobroschüren an Asylbewerber verteilt werden. In Mettmann beteiligt sich die Flüchtlingshilfe mit einem Mottowagen am Zug. Dabei sind auch Flüchtlinge, das Motto lautet "Wir schaffen das".

Bei vielen Menschen in Orsoy gibt es wenig Verständnis für den Wirbel um die Absage des Rosenmontagszuges. "Orsoy ist doch nicht Köln", sagt eine Kundin beim Bäcker. Eine Mutter von zwei Kindern erzählt von deren Enttäuschung. Und solle sie ihren Kindern jetzt Angst vor Flüchtlingen machen, wenn sie ihnen den Grund dafür erkläre?

Die Flüchtlinge würden nicht negativ auffallen, sagen Passanten. Zu der Karnevalsparty seien sie auch ausdrücklich willkommen, betont Karnevalist van Holt. "Denn unser Verein distanziert sich aufs Schärfste von jeder Form der Fremdenfeindlichkeit. Wir haben nie geäußert, ein Problem mit der ZUE und deren Bewohnern zu haben."

(RP)
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