Rheinberg-Orsoy 1 Dorf, 4000 Einwohner, 500 Flüchtlinge

Rheinberg-Orsoy · Im Festungsstädtchen Orsoy werden ab Januar 500 Flüchtlinge wohnen. Rund 200 sind bereits da. Die Gemeinschaft im Ort ist gespalten. Während die Einen helfen wollen, sind die Anderen beunruhigt. Es überwiegt aber Gelassenheit.

Rein äußerlich hat sich in Orsoy nicht viel verändert. Das alte Festungsstädtchen liegt idyllisch am Rhein, auch im November pendelt die Rheinfähre "Glück Auf" zwischen dem Rheinberger Stadtteil im Kreis Wesel und dem rechtsrheinischen Walsum, das zu Duisburg gehört. In der warmen Jahreszeit setzen Tausende Ausflügler, viele mit Fahrrädern, hierher über, um den Niederrhein zu genießen, um Kaffee zu trinken oder Eis zu schlecken. Oder um sich die schönen, denkmalgeschützten Bürgerhäuser oder die historischen Wallanlagen in Orsoy anzuschauen.

Aber seit einigen Wochen sind knapp 4000 Orsoyer hin- und hergerissen. Grund dafür ist die Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE), eine Landeseinrichtung für Flüchtlinge. In das alte St.-Marien-Hospital - bis Ende September war es eine Reha-Klinik der Moerser St.-Josef-Krankenhaus-Gesellschaft - werden jetzt Menschen aus Syrien, aus dem Irak und dem Iran, aus Mauretanien, Armenien, Afghanistan oder Marokko einquartiert. Wie lange, weiß noch niemand. Sie bleiben im Dorf, bis sie auf Städte oder Gemeinden verteilt werden. Vor einer Woche kamen die ersten 90 Flüchtlinge an, inzwischen sind alle 200 Plätze belegt. Wenn bis Ende des Jahres das ehemalige Schwesternheim des Krankenhauses renoviert worden ist, ziehen dort weitere 300 Frauen, Männer und Kinder ein.

500 Flüchtlinge mitten in einem niederrheinischen Dorf. Seit diese Zahl raus ist, gibt es kein anderes Gesprächsthema mehr in Orsoy. Es gibt Gegner der ZUE. Es gibt aber auch sehr viele, die die Einrichtung durchaus begrüßen. Und es gibt Menschen, die sich nicht für Schwarz oder Weiß entscheiden möchten. Die sagen: "Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, aber wir möchten mit unseren Sorgen und Ängsten ernstgenommen werden."

Für Uwe Klein, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Orsoy, ist der Fall klar: "Durch die Flüchtlinge wird das Leben in Orsoy bunter", sagt er. "Wenn ich sehe, dass sich in kürzester Zeit 30 ehrenamtliche Helfer bei mir gemeldet haben, die ich vorher gar nicht kannte, find ich das toll. Und wenn ich sehe, wie groß die Hilfsbereitschaft und die Spendenbereitschaft sind, dann sehe ich ein Orsoy, das mir sehr viel Spaß macht." Zum Sankt-Martinsfest wurden Flüchtlingsfamilien eingeladen und beschenkt. Beim SV Orsoy kicken die ersten Flüchtlinge im grün-weißen Dress.

Alles das honorieren auch Isolde und Christine Peters. Allerdings vernehmen die beiden in Orsoy bestens bekannten Schwestern ein ganz anderes Stimmungsbild, wenn sie in ihrer Lotto-Annahmestelle mit Post-Agentur mit Kunden sprechen. "500 Flüchtlinge in einem so kleinen Ort - das ist zu viel", sagt Christine Peters. "Der Ort wird sich verändern, wird nie mehr so sein wie bisher." Schließlich, so geben die Schwestern zu bedenken, sei die Unterbringung der Flüchtlinge auf Dauer angelegt: Das Land NRW hat mit dem Unternehmen des Investors Jörg Richard Lemberg einen Nutzungsvertrag über zehn Jahre abgeschlossen. Mit der Option auf weitere fünf Jahre.

"Es gibt in dieser Frage kein Gut und kein Böse", sagt Viola Schmitt. Die 38-Jährige ist Inhaberin einer kleinen Bäckerei in Orsoy. "Natürlich gibt es in Anbetracht dieser Situation berechtigte Ängste und Sorgen", sagt sie. "Und die Menschen möchten, dass sie ernstgenommen werden. Sie fühlen sich nicht wohl, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt." Auch sie gesteht, von ihren Kunden überwiegend negative Einschätzungen zu hören.

Maria Kühnen ist Ur-Orsoyerin und Wirtin der Gaststätte "Mütterlein". "Man wird bei Gesprächen mit Gästen an der Theke vorsichtiger", räumt sie ein. "Denn die Meinungen gehen auseinander." Sie selbst sei den Flüchtlingen gegenüber positiv eingestellt, unterstreicht sie. "Ich habe meine Fremdenzimmer oft an Gäste aus Syrien oder Libyen vermietet, und das waren alles liebe Leute." Beim Bierzapfen hört sie aber oft das Wort "Angst". Viele befürchteten, dass die Bereitschaft des Landes, Flüchtlinge aufzunehmen, die Deutschen selbst in Armut stürzen werde.

Solche Gedanken treiben Nicos Bunzel nicht um. Der 29-Jährige, Inhaber eines Fahrradgeschäfts in Orsoy, geht pragmatisch an die Sache heran. "Ich versuche, weltoffen zu sein und mich in die Lage der Flüchtlinge zu versetzen. Dass jetzt 500 Menschen hier untergebracht werden, ist für mich kein Grund, gleich die Fensterläden zuzuklappen." Er hilft lieber, statt zu klagen. Zum Beispiel, indem er einer örtlichen Hilfsinitiative Fahrräder für die Flüchtlinge besorgt.

In einem Punkt sind sich die Orsoyer einig: Eine Herausforderung für das Dorfleben ist die Flüchtlingsunterkunft in jedem Fall. Und im Alltag wird man die Menschen wahrnehmen. Das Gelände des ehemaligen Krankenhauses ist zwar komplett eingezäunt worden, und die Einrichtung wird von Sicherheitsleuten überwacht. Dennoch dürfen sich die Bewohner frei bewegen. "Das ist kein Gefängnis, und die Flüchtlinge sind keine Kriminellen", machte der Düsseldorfer Regierungsvizepräsident Roland Schlapka bei einer Informationsveranstaltung in der Rheinberger Stadthalle deutlich. Michael Bauermann vom Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste formulierte das so: "Es kommen keine schlimmen Menschen. Es kommen Menschen, die Schlimmes erlebt haben."

(RP)
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