Alpen Ein Mann mit Polizei-Gen

Alpen · Rüdiger Kunst (57) wollte immer schon Polizist werden. Sein Vater war fast 40 Jahre lang geachteter "Dorfsheriff" in Alpen. Das hat den Sohn nachhaltig beeindruckt. Der hat ihn auch als Leiter des DRK beerbt.

 "Der Aufbau einer Ständigen Stabsstelle nach dem Geiseldrama von Gladbeck hat das polizeiliche Handeln erheblich professionalisiert."

"Der Aufbau einer Ständigen Stabsstelle nach dem Geiseldrama von Gladbeck hat das polizeiliche Handeln erheblich professionalisiert."

Foto: Christoph Reichwein

Seit gut vier Wochen ist Rüdiger Kunst (57) der ranghöchste Polizist im Kreis Wesel. Und er ist gleich mitten drin. Weit mehr als ihm lieb ist. Unweit seines Wohnhauses in Alpen ist an seiner Joggingstrecke ein schrecklicher Unfall passiert, der viele noch immer tief bewegt. Ein junger Mann ist nachts auf dem Heimweg von einer Party von einem Auto überrollt und tödlich verletzt worden. "Das geht mächtig unter die Haut, zumal ich einen Sohn im gleichen Alter habe", sagt Kunst. Er hofft, dass die Kollegen in der Ermittlungsgruppe die mysteriösen Umstände des Unglücks aufklären können.

Der großgewachsene Mann mit den freundlichen, hellwachen Augen und den vier goldenen Sternen auf den Schulterklappen - Leitender Polizeidirektor - hat seinen Job nicht nur "von der Pike auf" gelernt. Er hat das Polizei-Gen geradezu geerbt. Vater Fritz Kunst war nach dem Krieg bis Mitte der 80er Jahre fast vier Jahrzehnte "Dorfsheriff" in Alpen, ein geachteter Schutzmann im allerbesten Sinne. Das hat mächtig Eindruck gemacht auf den Sohn. "Für mich war früh klar, dass für mich nichts Anderes infrage kam, als Polizist zu werden."

 "Für mich war früh klar, dass für mich nichts Anderes infrage kam, als Polizist zu werden."

"Für mich war früh klar, dass für mich nichts Anderes infrage kam, als Polizist zu werden."

Foto: Christoph Reichwein

Polizeiarbeit war Familienangelegenheit. Die Wache war ein Büro im Haus der Familie an der Bruckstraße. Auch der Notruf lief hier auf. Wenn bei einer weiblichen Delinquentin eine Leibesvisitation anstand, war das ein Fall für Mutter Helga. Rüdiger Kunst erinnert sich an einen Fall, als sein Vater ein gestohlenes Fahrrad sichergestellt und im Schuppen weggeschlossen hatte. In den wurde eingebrochen, die Fiets war weg. Der Dieb hatte keine Spuren hinterlassen, aber sein Werkzeug so säuberlichst geordnet zurückgelassen, dass Vater Fritz sofort wusste, wer's gewesen war.

 "Wir müssen auch auf dem Lande mit oft weiten Wegen schnell da sein. Denn nach uns kommt keiner mehr."

"Wir müssen auch auf dem Lande mit oft weiten Wegen schnell da sein. Denn nach uns kommt keiner mehr."

Foto: Christoph Reichwein

Nach dem Abitur in Geldern schrieb Rüdiger Kunst nur eine Bewerbung. Er wurde genommen. Der Beginn einer beachtlichen Polizeikarriere. Die führt den Mann aus Alpen steil nach oben, die Bodenhaftung aber verlor er nie. Den Antrieb, da zu sein, wenn jemand Hilfe braucht, hat den Polizisten Kunst auf all seinen Positionen begleitet.

Nicht nur den Tschako, den antiquarische Diensthelm seines Vaters, hält Rüdiger Kunst in Ehren. Der Chef von rund 800 Polizisten hat sich auch dessen Divise zu eigen gemacht: "In kleinen Dingen groß, in großen Dingen kleinlich sein." Mal Fünfe gerade sein lassen - aber, wenn's Not tut, mit aller Konsequenz vorgehen "und das ganze Paket auspacken".

Rüdiger Kunst hat ein bewegtes Polizeileben geführt. Seine Grundüberzeugung hat er stets mitgenommen: Wach- und Wechseldienst auf der Straße in Duisburg-Mitte, Studium an der Fachhochschule für den Mittleren Dienst, Wach- und Dienstgruppenleiter in Köln, Lehrer für junge Polizisten in der Hundertschaft in Brühl.

Das Geiseldrama von Gladbeck war auch für ihn ein Wendepunkt, der seinen beruflichen Aufstieg beflügelte. Das Drama hatte erhebliche Defizite beim polizeilichen Handling von "herausragenden Lagen" offenbart. Den Ruf am Aufbau einer Ständigen Stabsstelle mitzuwirken, bezeichnet der 57-Jährige im Rückblick persönlich als "großen Glücksfall". Diese "Pionierarbeit" habe das polizeiliche Handeln "erheblich professionalisiert".

Nächste Station war nach der Polizeiführungsakademie in Münster-Hiltrup und der Qualifikation für den Höheren Dienst, der Ständige Stab für Polizeitechnische Dienste: Ortung, Telefon- und Funküberwachung waren sein Alltag. Und manchmal war Pyrotechnik, in Fußballstadien aus Polizeisicht höchst verpönt, ein probates taktisches Mittel, "um Nebelkerzen zu zünden". Kunst wurde Chef des Ständigen Stabes in Essen, der immer dann auf den Plan tritt, wenn Entführungen, Geiselnahmen, Amokläufe oder "Renegates", bei denn Flugzeuge als Waffen missbraucht werden - besonderes Einsatzhandeln erfordern.

Vorm Wechsel nach Wesel hat die Vier-Sterne-Kraft als IT-Verantwortlicher dafür gesorgt, dass die Polizeirechner im Land den Sprung von XP auf Windows 8 geschafft haben.

Nun ist er dafür verantwortlich, dass die knapp halbe Million Menschen im Kreis Wesel sicher leben kann. Kein leichter Job, aber keiner, der schlaflose Nächte bereitet, auch wenn, personell betrachtet, "das Tischtuch sehr knapp ist". Sein Ziel sei es, "dass wir auch im ländlichen Raum mit oft weiten Wegen möglichst schnell da sind, wenn Hilfe gebraucht wird. Kunst: "Nach uns kommt keiner mehr." "Die Polizei müsse Gesicht zeigen, ansprechbar sein. Neben der Beziehungsebene müsse aber auch das Handwerk, die Ermittlungsarbeit, stimmen und die Voraussetzungen dafür."

Auch wenn im Kreis Wesel nach heutigem Ermessen nie ein G 20-Gipfel stattfindet, so sei er keine Insel der Friedfertigkeit. Mehrere Kollegen seien in Hamburg gewesen, hätten ihm aus erster Hand von "schlimmen Zuständen" berichtet, aber gleichzeitig beteuert, dass sie wieder ihren Mann oder ihre Frau stehen würden, wenn sie gerufen würden. Das imponiert ihrem Chef.

Der möchte seine Leute fit machen für extreme Herausforderungen in Zeiten, in denen terroristische Anschläge ständige Bedrohung sind - auch am Niederrhein. "Man muss sich nur den Weg des Mannes vor Augen führen, der in Berlin das Attentat auf dem Weihnachtsmarkt verübt hat", sagt Kunst.

Als Leiter der DRK-Ortsgruppe Alpen kommt er ohne Waffe zum Ziel. Da helfen gute Argumente auch gegen Widerstände. Als vor zwei Jahren eine Hundertschaft Jugendlicher den Tulpensonntagszug der Kinder aufgemischt hat, schlug Rüdiger Kunst ein generelles Alkoholverbot vor. Nicht alle schrien Hurra. Kunst blieb kleinlich. Für ihn war's wichtig. Alkohol wurde zum Tabu. Die "kleinliche" Strategie war erfolgreich. Sie lässt den Kinderkarneval in Alpen wieder groß sein. Groß ist auch die Toblerone, die die Kollegen in Essen dem Mann aus Alpen mit der Schwäche für Süßes mit auf den Weg an den Rhein gegeben haben. 4,5 Kilo Schokolade - das nennt man eine große Herausforderung.

(bp)
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