Lokalsport Verkehrte Welt: Wer gewinnt, verliert!

Neuss · Wohl in einem Akt der Selbstverteidigung bringen der KSK Konkordia Neuss und der TV Essen-Dellwig im Topduell der Oberliga NRW nicht genügend Ringer (mit Gewicht) auf die Matte. Die 0:2-Wertung hilft im Aufstiegsvermeidungskampf.

 Spektakulär: Der Neusser Samuel Bellscheidt lag im Duell mit Dellwigs Pietro Sabatino schon so gut wie auf der Schulter, wusste sich aber aus dieser Bredouille zu befreien und gewann am Ende noch technisch überlegen mit 19:4.

Spektakulär: Der Neusser Samuel Bellscheidt lag im Duell mit Dellwigs Pietro Sabatino schon so gut wie auf der Schulter, wusste sich aber aus dieser Bredouille zu befreien und gewann am Ende noch technisch überlegen mit 19:4.

Foto: WOI

Eine alte Redensart sagt: "Den Letzten beißen die Hunde." Auf die Ringer der Oberliga NRW angewandt bedeutet das: Wer es bis zum letzten Kampftag am kommenden Wochenende nicht geschafft hat, sich von Platz eins abzuseilen, ist Meister - und das ist in dieser Saison kein Grund zum Feiern. Denn wegen des Wegfalls der 2. Bundesliga hat der Deutsche Ringerbund (DRB) alle Champions der vormals drittklassigen Regional- oder Oberligen dazu verdonnern, ins nationale Oberhaus aufzurücken. Und das will - im Übrigen quer durch die ganze Republik - so gut wie keiner.

Auch der KSK Konkordia Neuss und der TV Essen-Dellwig, bis Samstagabend die beiden Topklubs der Westliga, machen keinen Hehl daraus, dass sie einem erzwungenen Aufstieg in die 1. Bundesliga wenig bis gar nichts abgewinnen können. Das Problem dabei: Wer sich dem Aufstieg entzieht, wird vom DRB hart sanktioniert: Zurückstufung auf Landesebene sowie eine saftige Geldstrafe von 5000 Euro. Also zogen die beiden Klubs die Reißleine. Wohl in einem Selbstverteidigungsakt schickte KSK-Trainer Max Schwindt in Ibrahim Deziev, Lom-Ali Eskijev und Leon Tagner gleich drei Ringer auf die Matte, die nicht das zulässige Gewicht für ihre Klasse aufwiesen. Sein ebenfalls mal in Neuss tätiger Kollege Christian Jäger hatte in seiner Truppe in Hamzat Awtaew und Nikolaj Siroglazov zwei Kämpfer mit Übergewicht. Da sowohl Neuss als auch Dellwig die Gewichtsklasse bis 75 Kilogramm gar nicht besetzt hatten - der dafür ursprünglich vorgesehene Olimjon Kholikov machte mit der Zweitvertretung des KSK durch einen 29:8-Sieg bei Germania Altenessen den Aufstieg in die Verbandsliga perfekt -, erfüllten beide Rivalen nicht die Vorgabe von neun Aktiven, davon acht mit dem passenden Gewicht.

Die Folge: Auf der Matte gewann Neuss zwar mit 12:9, gewertet wurde das vermeintliche Duell um die Krone jedoch mit 0:0 - in der Tabelle erhielten die Kontrahenten jeweils zwei Minuspunkte.

Das bedeutet jetzt: Vor dem letzten Wochenende der Saison liegen Dellwig, Neuss und der AC Köln-Mülheim mit 18:8 Zählern punktgleich an der Tabellenspitze. Da davon auszugehen ist, dass das am Aufstieg nicht interessierte Trio seine Kämpfe im Gleichschritt verlieren wird, zöge Essen-Dellwig den Schwarzen Peter. Denn der neue Spitzenreiter läge im direkten Vergleich der drei Führenden, bei dem nur die Ergebnisse untereinander berücksichtigt werden, mit 4:4-Zählern aufgrund der größeren Anzahl der gewonnen Kämpfe vor den nun punktgleichen Mülheimern und den Neussern (2:6).

Offen kommuniziert werden diese wenig sportlichen, aber nachvollziehbaren Aktionen natürlich nicht. Und so versichert Schwindt - wie im Übrigen auch Dellwig -, dass er sehr wohl gewillt gewesen sei, die bestmögliche Mannschaft aufzustellen. "Aber Julian Lejkin ist gesundheitlich schwer angeschlagen, Daniel Hofsetz und Jonas Billstein sind verletzt." Noch am Abend zuvor hatte Vorstandsmitglied Thomas Perlick bei der Jahreshauptversammlung erklärt: "Wir können keinem Ringer abverlangen, auf der Matte absichtlich zu verlieren. Vor einer Saison in der höchsten Liga würden wir uns nicht sträuben, die Zahlen geben das her." Was sich der Verein nicht leisten wolle, so Perlick weiter, wäre, Sponsorengelder dafür zu verwenden, die im Falle des Zwangsaufstieges für den Rückzug fällige Strafe von 5000 Euro zu zahlen. Dieses Szenario gelte es auch deshalb unbedingt zu vermeiden, weil der in Deutschland für seine außergewöhnliche Nachwuchsarbeit bekannte Verein bei einer Rückstufung "im Nirwana verschwinden würde." Noch drastischer formuliert das der dem Ehrenrat angehörende Horst Faller: "Ein Rückzug aus der Bundesliga wäre der reine Selbstmord. Dann wären unsere schon jetzt bei der Konkurrenz gefragten Talente weg, dann wäre unser Sport kaputt, denn auf Landesebene gibt es nichts zu ringen."

Dabei ist die Rückkehr in die 1. Liga, der die Konkordia von 2000 bis 2012 ununterbrochen angehört hatte, das erklärte Ziel des Vereins. Nur eben nicht jetzt. "In ein, zwei Jahren sind unsere Eigengewächse so weit, dass sie da mithalten können. In dieser Saison macht der Aufstieg, zumindest in der aktuellen Konstellation, jedoch gar keinen Sinn", sagt Schwindt. Dass daran die am 8. Januar anstehende außergewöhnliche Mitgliederversammlung des Ringerverbandes NRW etwas ändern könnte, glaubt nicht nur in Neuss niemand.

(NGZ)
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