Analyse Tour de France ist große Chance für den Sport

Rhein-Kreis · Die Eneco-Tour 2004 und die Deutschland-Tour, bei der Neuss 2008 Etappenort war, haben es gezeigt: Die Radsport-Begeisterung im Rhein-Kreis ist groß. Das sollte bei der Tour de France nicht anders sein, die sich am 2. Juli 2017 in noch ganz anderen Dimensionen bewegen wird.

 2008, als die Deutschland-Tour in Neuss Station machte, rollten die Fahrer über die Zollstraße. Dort könnte es auch am 2. Juli 2017 lang gehen.

2008, als die Deutschland-Tour in Neuss Station machte, rollten die Fahrer über die Zollstraße. Dort könnte es auch am 2. Juli 2017 lang gehen.

Foto: -woi

Christian Stoll, in zahllosen Radrennen auf Straße und Bahn gestählter Moderator, brachte es am Abend des 27. Juli mit einer rhetorischen Frage auf den Punkt: "Wenn bei der Tour de Neuss sieben Tour de France-Fahrer schon 15.000 Menschen an die Strecke locken, wie viele werden es dann erst sein, wenn die komplette Tour de France durch Neuss rollt?"

Nun, die Antwort darauf wird Christian Stoll nicht selbst in Augenschein nehmen können. Er ist am Nachmittag des 2. Juli 2017 in Mönchengladbach als Sprecher im Einsatz, wenn auf der zweiten Etappe der 104. Frankreich-Rundfahrt die erste Sprintwertung auf dem Programm steht. Jener zweiten Etappe, die kurz zuvor - je nach Streckenführung, deren Details erst im November bekannt gegeben werden - 30 bis 45 Minuten durch den Rhein-Kreis rollt.

Meerbusch (Büderich), Kaarst (Büttgen) und eben Neuss sind dabei, wenn das um die 200 Fahrer starke Peloton von Düsseldorf, wo am Tag zuvor die Tour mit einem Einzelzeitfahren eröffnet wird, über 202 Kilometer bis ins belgische Lüttich rollt. Die Aussichten, dass auf dieser zweiten Etappe ein deutscher Fahrer das gelbe Trikot trägt, sind so unwahrscheinlich nicht: Tony Martin, vor einer Woche zum vierten Mal Weltmeister im Einzelzeitfahren geworden, 2010 übrigens Sieger der Tour de Neuss, gilt als Favorit für den 13 Kilometer langen Prolog beiderseits des Rheinufers.

Doch ganz egal, ob ein Deutscher, Australier, Franzose oder Brite in Gelb durch Neuss und Kaarst radelt - er sollte dort keine leeren Straßenränder vorfinden. Denn die Begeisterung für den Radsport im Rhein-Kreis ist groß. Das zeigt sich alljährlich am Mittwochabend nach Zielankunft der Tour de France, wenn die Tour de Neuss zwischen (in mauen Jahren) 10.000 und (in Glanzzeiten) 25.000 Zuschauer auf den Rundkurs in der Innenstadt lockt. Das war 2004 so, als Ende August die Eneco-Tour ("Ronde van Nederland") 31,5 Kilometer von der Kardinal-Frings-Brücke bis nach Anstel durch den Kreis führte: Tausende säumten an einem Freitagmittag die Strecke, "in Straberg, der einzigen echten Ortsdurchfahrt, herrschte Kirmesstimmung", notierte die NGZ am Tag danach.

Auch die Deutschland-Tour Anfang September 2008 war ein Publikumsmagnet: 5000 Zuschauer säumten die Zielgerade der siebten Etappe auf der Augustinusstraße - an einem Donnerstagnachmittag. Nicht viel weniger waren es am darauffolgenden Morgen beim Start auf dem Markt. Übrigens: Allein 90.000 Euro überwies die Stadt (!) damals an den Veranstalter, um Etappenort zu werden - von den organisatorischen Kosten mal ganz abgesehen. Diesmal werden die 100.000 Euro (Gebühr und Organisationskosten) für Neuss und die jeweils (mindestens) 50.000 Euro für Kaarst und Meerbusch von Sponsoren aufgebracht.

Gut angelegtes Geld. Denn die Tour de France bewegt sich noch einmal in ganz anderen Dimensionen als Eneco- oder Deutschland-Tour. Sie ist das größte Einzel-Sportereignis der Welt, sie lockt in jedem Jahr Millionen an die Straßenränder und noch mehr vor die Fernsehbildschirme. Und selbst wenn sie nur eine halbe Stunde durch den Rhein-Kreis rollt - irgendetwas wird davon hängen bleiben. Wenn die Beteiligten bis dahin ihre Hausaufgaben machen. "Die erste Etappe haben wir gewonnen, aber jetzt geht die eigentliche Arbeit erst los", sagt David Zülow, Geschäftsführer von "Neuss on Tour", jenem am Abend der Tour de Neuss ins Leben gerufenen Initiativkreis, der die Vorfinanzierung der 100.000 Euro sicher gestellt hat. "Jetzt ist die gesamte Stadt gefordert, die Ärmel hochzukrempeln und dafür zu sorgen, dass dieser Tag zu einem tollen Event und die Stadt Neuss top präsentiert wird," ergänzt sein Mitstreiter Thomas Koblenzer.

Ähnlich sieht es Franz-Josef Kallen. Der Präsident des VfR Büttgen und des Trägervereins Sportforum war eine der treibenden Kräfte hinter der Kaarster Bewerbung: "Das geht weit über den Sport hinaus, das ist bestes Stadtmarketing." Er hat bereits Gespräche mit "Neuss on Tour" geführt, "denn wir sollten zusammen arbeiten und uns an diesem Tag nicht gegenseitig Konkurrenz machen", sagt Kallen.

Alle planen sie ein Rahmenprogramm. Das ist gut so, denn das Fahrerfeld, 70 bis 80 Kilometer nach dem Start sicher noch in geschlossener Formation unterwegs, wird in ein paar Sekunden durchgerauscht sein - da wollen die Zuschauer unterhalten werden. Nur: Ein weiteres "Stadtfest" aus der Event-Retorte braucht kein Mensch - das Programm sollte schon zum Thema passen. Und auch der Sport muss vorbereitet sein. Löst die Tour de France wirklich einen Radsport-Boom in der Region aus, müssen genügend Vereine und Menschen da sein, die sich um die an diesem Sport Interessierten auch kümmern - sonst bleibt die viel zitierte "Vorbildfunktion des Spitzensports" ein Terminus für Sonntagsreden. Schlechte Beispiele gibt es genug: Trotz der mehr als 100.000 Menschen, die seit Anbeginn beim Sommernachtslauf gestartet sind, ist aus Neuss keine Läuferhochburg geworden.

Die Tour de France eröffnet der Region, ihren Städten und dem dort beheimateten Sport ungeheure Chancen - sie müssen nur genutzt werden.

(NGZ)
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