Korschenbroich Klopfen bis die Hände bluten

Korschenbroich · Korschenbroich Sie klopft. Immer und immer wieder. Mal kurz und schnell, dann werden die Abstände länger, danach wieder kürzer. Die Fingergelenke schmerzen, fangen sogar an zu bluten. Aber sie klopft weiter. Unermüdlich.

Korschenbroich: Klopfen bis die Hände bluten
Foto: NGZ

Korschenbroich Sie klopft. Immer und immer wieder. Mal kurz und schnell, dann werden die Abstände länger, danach wieder kürzer. Die Fingergelenke schmerzen, fangen sogar an zu bluten. Aber sie klopft weiter. Unermüdlich.

 Eine Geschichte, die auch Bürgermeister Heinz Josef Dick (l.) fasziniert: Gestern besuchten Anke und Matthias Jauch den ersten Bürger der Stadt Korschenbroich und erzählten mithilfe des eigenen Buches schon mal von ihrem Schicksal. H. Jazyk

Eine Geschichte, die auch Bürgermeister Heinz Josef Dick (l.) fasziniert: Gestern besuchten Anke und Matthias Jauch den ersten Bürger der Stadt Korschenbroich und erzählten mithilfe des eigenen Buches schon mal von ihrem Schicksal. H. Jazyk

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Denn Anke Jauch will kommunizieren. Sprechen kann sie nicht, die Abhörgeräte in ihrer Zelle würden sie auffliegen lassen. Aber klopfen, das geht. Und das verstehen auch die anderen Insassen. Einmal heißt a, zweimal b, dreimal c. Das ganze Alphabet nutzen sie so, unterhalten sich auf diese Weise tage-, zum Teil sogar wochenlang.

Insgesamt 13 Monate wurde die Kleinenbroicherin Anke Jauch im Gefängnis festgehalten. Erst in Bulgarien, dann in Leipzig und dann im Frauenzuchthaus Hoheneck. "Es war eine Tortur", erzählt die 49-Jährige, die in Leipzig geboren und aufgewachsen ist. Ihre Zukunft sah sie jedoch woanders: im Westen. Und so beschloss sie im Sommer 1980 mit ihrem Mann Matthias zu fliehen. Über Bulgarien nach Jugoslawien. "Wir haben erstmal Urlaub am Schwarzen Meer gemacht, um Kraft zu tanken", erklären die beiden, "und wollten uns danach absetzen."

Weit kamen sie nicht. Noch in Bulgarien, in einer Sperrzone, die geheim überwacht wurde, wurden sie gefasst. Danach erlebten sie die Hölle - und entkamen nur knapp dem Tod. Während die damals 21 Jahre alte Anke nach drei Tagen von Bulgarien in die Untersuchungshaft nach Leipzig gebracht wurde, saß ihr Mann 21 Tage in dem fremden Land fest. "Erst später wurde uns gesagt, was wir für ein Glück hatten", weiß Matthias Jauch (52) heute, "da es ein Kopfgeld für Flüchtlinge gab und deswegen viele direkt erschossen wurden."

Wie es dem jeweils anderen ging, und ob er es überhaupt geschafft hatte, wussten sie damals bei ihrer Ankunft in Leipzig jedoch nicht. Aber es gab ja die Klopfzeichen, diese zähe, schmerzende Form der Unterhaltung. "Irgendwann erfuhr ich dann, dass mein Mann drei Zellen weiter sitzt", erinnert sich Anke Jauch, die mittlerweile sehr offen über das spricht, was sie über zwanzig Jahre verschwiegen hat, weil sie sich schämte.

Nahe waren sich die beiden aber nicht wirklich lange. Nach der Verurteilung "Republikflucht in schwerem Fall" trennten sich ihre Wege. Er kam nach Cottbus, sie nach Hoheneck. "Ich habe dort alles erlebt. Von schweren Demütigungen bis zu Misshandlungen", erzählt Anke Jauch, die stundenlang eiskalt abgeduscht wurde, bis sie ein Paket von ihren Eltern entgegennehmen durfte - oder auch nicht. Denn manchmal wurde dann einfach gesagt: "Pech gehabt, kriegste doch erst morgen!"

Die Kleinenbroicherin hat all das aufgeschrieben, gleich nach ihrer Freilassung am 2. Juli 1981, als sie gemeinsam mit ihrem Mann vom Auffanglager in Gießen nach Neuss an die Flurstraße kam. "Erst vor zwei Jahren war ich dann soweit, mich noch einmal mit dieser Tortur zu beschäftigen", erklärt die Kosmetikerin, "weil ich das endlich mal erzählen wollte und auch möchte, dass diese schlimme Zeit der deutschen Geschichte nicht in Vergessenheit gerät." Auf über 130 Seiten hat sie ihre Erfahrungen und Teile ihrer Stasi-Akte in dem Buch "Die Stasi packt zu" festgehalten, das sie auf der Leipziger, nicht auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt hat. Und nach Lesungen in Berlin und Magdeburg wird sie jetzt in Korschenbroich über ihr Schicksal sprechen. "Mir bedeutet das sehr viel, und ich bin sehr stolz darauf, hier diese Möglichkeit zu bekommen."

Denn für Anke Jauch ist das ein Stück Bewältigung der Vergangenheit. Einer Zeit, die sie psychisch geprägt, aber nicht zerstört hat. "Das einzige, womit ich noch Probleme habe, ist nicht das Klopfen, sondern sind geschlossene Räume", erzählt die Mutter einer Tochter, "deswegen müssen bei uns zuhause immer alle Türen offen sein."

(NGZ)
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