Sportgeschichten (79) In Agbodrafo wird auch mit Sandalen gekickt

Neuss · Ex-Profi Robert Begerau reist als "Senior-Experte" um die Welt und vermittelt Schülern fußballerische Grundkenntnisse.

Vorst Robert Begerau ist unangenehm. Einer, der den Dingen gerne auf den Grund geht, in Stein gemeißelte Wahrheiten hinterfragt. Wer mit dem 68-Jährigen zu tun hat, ist besser voll bei der Sache, denn genau das ist Robert Begerau: ganz oder gar nicht.

Am Adolf-Kolping-Berufskolleg in Kerpen-Horrem kämpfte der diplomierte Sportlehrer und Psychologe fast ein Vierteljahrhundert für sogenannte Problemschüler, jene ohne Schulabschluss und ohne echte Perspektive im Leben. Ein Knochenjob, auch für Geist und Seele. Trotzdem hielt der sensible Kümmerer aus Vorst mit eiserner Disziplin bis zu seinem letzten Schularbeitstag durch, verabschiedete sich erst mit 65 in den Ruhestand. Doch was heißt hier Ruhestand? Für Bündnis 90/Die Grünen saß er zwölf Jahre im Stadtrat, kandidierte 2009 sogar für das Amt des Bürgermeisters in Kaarst. "Mir und meiner Familie geht es gut in Vorst, darum wollte ich den Menschen etwas zurückgeben", sagt er. Er unterlag damals dem CDU-Kandidaten Franz-Josef Moormann. Kein Problem, als Fußballer hat Robert Begerau gelernt, auch Niederlagen wegzustecken. Die Leidenschaft für das runde Leder, sie begleitet ihn stets und überall. "Diese Fußballverrücktheit kann man ja gar nicht ablegen", bestätigt er. Mit Fortuna Düsseldorf stieg er 1971 unter Trainer Heinz Lucas in die Bundesliga auf, verletzungsbedingt absolviert er dort allerdings nur noch zwei Partien. Nach seiner aktiven Karriere machte er natürlich als Trainer weiter, arbeitete von 1993 bis 1994 als "Co" von Chefcoach Bernd Krauss bei Borussia Mönchengladbach.

Als auch diese Karriere vor zwölf Jahren mit dem Aufstieg der Norfer A-Junioren in die Niederrheinliga offiziell endete, blieb er hart am Ball. Er betreute mit Liebe zum Detail die Fußball-AG an der Grundschule in Vorst. Außerdem gehört der Vorster schon seit 1998 dem Vorstand der Verbandsgruppe Nordrhein im Bund Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) an, organisiert vor allem Fortbildungsmaßnahmen. Und damit war er geradezu prädestiniert für ein faszinierendes Abenteuer: Seit 2013 reist Robert Begerau als "SES-Experte" um die Welt, bildete schon College-Fußballer im indischen Bundessstaat Nagaland und im afrikanischen Togo aus. Der "Senior Experten Service" (SES) ist die Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit. Die gemeinnützige Gesellschaft organisiert mit ihren Fach- und Führungskräften im Ruhestand im Jahr mehrere tausend Einsätze, davon 1600 in Entwicklungs- und Schwellenländern. "Dabei", so Begerau, "lernst du die andere Seite des Fußballs kennen. Nicht Glanz und Gloria, sondern den Fußball an sich, pur, wenn man so will. Hautfarbe, Herkunft und Rasse spielen da keine Rolle." Entscheidend sind erst mal viel grundlegendere Dinge: In der 20 Kilometer östlich vom togolesischen Lomé entfernten Küstenstadt Agbodrafo zum Beispiel musste der aus viel Sand, aber wenig Rasen bestehende Platz vor dem ersten Kick mit der Machete vom gut 20 Zentimeter hochstehenden Gestrüpp befreit werden. In Indien schimmerte durch die in einen Berghang geschlagene Spielfläche, die zusätzlich als Piste für tourende Lkw diente, der nackte Fels. "Von daher ist es schwierig, die Leistungsfähigkeit dieser Jungs einzuschätzen", sagt Begerau, der seine Schützlinge darum "gerne mal auf glattem Rasen hätte spielen gesehen."

Obwohl ihr Schuhwerk nicht selten aus Sandalen oder Socken besteht - mitunter jagen die Schüler auch einfach barfuß dem Ball hinterher; ebenfalls stark gewöhnungsbedürftig sind die Plastik-Boots "Made in China" -, punkten die jungen Fußballer durch ihren ansteckenden Enthusiasmus, ihre Neugier und ihre Lebensfreude. Begerau: "Hier bei uns ist doch jeder nur noch mit sich selbst oder seinem Handy beschäftigt. Dort reden die Leute überall miteinander. Dass sich im Bus jemand extra möglichst weit weg von den anderen Fahrgästen hinsetzt, finden die Menschen komisch. Das verstehen sie nicht."

Wer sich von seiner typisch europäischen, indes vollkommen unangebrachten Überheblichkeit löse ("Die Menschen in diesen Ländern sind arm, aber nicht hinterwäldlerisch."), käme in den Genuss spannender Begegnungen, verspricht der Fußball-Entwicklungshelfer. So erlebte er im vergangenen Sommer in einem Dorf nahe der Hauptstadt Lomé die beeindruckende Beerdigung einer im gesegneten Alter von 94 Jahren verstorbenen Frau mit Tanz und Musik. In Agbodrafo begeisterte er seine Gastgeber dafür mit der Bekanntschaft zu dem in Togo als Nationalheld verehrten Bachirou Salou. Den auch mal für den SC Kapellen aktiven Ex-Fußballprofi von Borussia Mönchengladbach, Borussia Dortmund, Eintracht Frankfurt und dem MSV Duisburg hatte er "an einer Pommesbude getroffen. Und weil er damals noch keinen gültigen Führerschein besaß, habe ich ihn zum Essen mit zu mir nach Hause genommen."

Trotz der großen Entfernung, der Sprachbarriere, zu deren Überwindung der europäische Fußballverband UEFA sogar ein Fachlexikon herausgegeben hat, sowie der unterschiedlichen Religionen und Lebensweisen, für Robert Begerau steht inzwischen fest: "Die Unterschiede zwischen den Menschen sind gar nicht so groß. Wir leben hier in Saus und Braus, dabei brauchen wir diesen Luxus eigentlich gar nicht." Darum ärgert ihn der Umgang mit den Flüchtlingen, die in Europa Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen: "Wenn es heißt, es sei kein Geld da, kann ich das nicht verstehen. Am fehlenden Geld scheitert es ganz sicher nicht!"

(NGZ)
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