Sportgeschichten (76) Ein Sonntagskind mit Ecken und Kanten

Neuss · Neusser Ruderlegende Victor Hendrix feiert heute seinen 80. Geburtstag auf einem Segeltörn vor der griechischen Insel Kos.

Sportgeschichten (76): Ein Sonntagskind mit Ecken und Kanten
Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Neuss Der 22. September 1935 war ein Sonntag. Natürlich, wer Victor Hendrix einmal in die stets aufmerksamen Augen geschaut hat, dem ist klar: "Hier steht ein Sonntagskind." Dazu die sonore Stimme, das souveräne Auftreten - auch mit 80 Jahren geht der Neusser noch kerzengerade durchs Leben. Ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, aber mit Ecken und Kanten. Gerne mit Hut, nie ohne seine Gitanes Blondes. Einem Laster, dem er freilich erst im schon reiferen Alter von 27 Jahren verfiel.

 Glück zu zweit: Henriette (69) und Victor Hendrix (80). 1960 nahm Victor Hendrix mit Manfred Kluth und Trainer Gert van Opbergen (v.l.) an den Olympischen Spielen in Rom teil. Auftritt beim Festakt 100 Jahre Neusser Ruderverein.

Glück zu zweit: Henriette (69) und Victor Hendrix (80). 1960 nahm Victor Hendrix mit Manfred Kluth und Trainer Gert van Opbergen (v.l.) an den Olympischen Spielen in Rom teil. Auftritt beim Festakt 100 Jahre Neusser Ruderverein.

Foto: Woi/NRV

Seine Karriere als Leistungssportler im Neusser Ruderverein war da natürlich vorbei. Eine Zigarette in der Hand seiner Jungs hätte Gert van Opbergen, 2004 verstorbener Kult-Trainer des NRV und selber ein Mann wie ein Fels, niemals geduldet. Unter seiner Regie brachte es Victor Hendrix 1960 gemeinsam mit seinem Vereinskameraden Manfred Kluth, mit dem ihn bis zu dessen Tod "eine funktionierende Freundschaft" verband, zu den in Rom ausgetragenen Olympischen Sommerspielen. Noch heute steht für ihn fest: Hätte das Neusser Duo in der "ewigen Stadt" im Vierer ohne Steuermann mit Günter Schroers und Manfred Uellner (beide Germania Düsseldorf) starten dürfen - gut ein Jahr zuvor hatte dieses junge Quartett bei den Europameisterschaften im französischen Mâcon auf Anhieb Platz zwei belegt -, wäre dort eine Medaille möglich gewesen. Jedoch: Das erst 14 Tage vor den Weltspielen zusammengestellte Boot, in dem nun die Bremer Albrecht Wehselau und Georg Niermann saßen, musste nach verpatztem Start in den Hoffnungslauf und unterlag dort dem späteren Goldmedaillen-Gewinner USA denkbar knapp.

Sportgeschichten (76): Ein Sonntagskind mit Ecken und Kanten
Foto: Berns, Lothar (lber)

1961 wurden Hendrix/Kluth im Team mit Herbert Kampmann und Cornelius Mathul (alle Neusser RV) noch mal überraschend Deutsche Vizemeister, doch da waren für sie andere Dinge längst wichtiger geworden. Manfred Kluth promovierte als Jurist, Hendrix schloss in Aachen sein Maschinenbau-Studium ab. Beruflich landete der Diplom-Ingenieur 1962 mit seinem Einstieg bei der an der Bataverstraße in Neuss ansässigen PLU Pierburg-Luftfahrtgeräte-Union (damals A. Pierburg - Auto- und Luftfahrtgerätebau, heute TRW) einen Volltreffer. Sportlich hielt er zwar dem Neusser Ruderverein (bis heute) die Treue, wendete sich beim HTC SW Neuss jedoch verstärkt dem Hockey und Tennis zu. "Allerdings mit mäßigem Erfolg", gesteht er.

Als er im September 2000 bei der PLU als von den Mitarbeitern hochgeschätzter Geschäftsführer in Rente ging, war er bereit für das nächste Abenteuer: Gemeinsam mit seiner zweiten Ehepartnerin Henriette, die der auf der Lörickstraße aufgewachsene Ur-Neusser 1983 während des Bürger-Schützenfestes kennen- und liebengelernt hatte, bezog er im nahe Avignon gelegenen Provence-Städtchen Pernes-les-Fontaines das eigene Haus. Fast zehn Jahre lebte das Genießer-Paar im Schatten des Mont Ventoux seinen französischen Traum.

Auch wenn sie mittlerweile wieder an den Rhein zurückgekehrt sind, die Sehnsucht bleibt. Victor Hendrix, der fließend Englisch und Französisch spricht, fühlt sich als Europäer - und ist trotzdem von Grund auf Deutsch. "Eine typische Jungfrau", verrät seine impulsive Gefährtin, in deren Adern indianisches Blut fließt. "Er ist penibel, dabei aber ein irrsinnig großzügiger Mensch." Jemand, für den es normal ist, anderen zu helfen. "Ich könnte mir sehr gut vorstellen, Kurse 'Deutsch für Ausländer' zu geben", sagt er. Schließlich ist das aktive Leben auch mit 80 noch nicht vorbei. Lesen im bequemen Sessel daheim ist nicht alles. Er muss unter Leute, kegelt noch alle 14 Tage und marschiert seit rund 50 Jahren im Schützenlustzug "Obertoren" über den Markt, der seit der Rückkehr aus der Provence mit seinen gemütlichen Straßencafés "Kleeberg" und "Marktcafé" irgendwie zur zweiten Heimat geworden ist.

Auch an seinem Geburtstag ist er selbstverständlich in Bewegung. Am Samstag brach er mit seiner Frau und ein paar Freunden zu einem Segeltörn in die Ägäis vor der griechischen Insel Kos auf. Die große Party fällt damit heute aus. "Die haben wir zum 70. in unserem Haus in Frankreich gemeinsam mit mehr als hundert Gästen gemacht", erinnert sich der komplett in sich ruhende Grandseigneur vergnügt, blickt aber schon wieder schmunzelnd voraus: "Vielleicht feiern wir ja meinen 90. ganz groß." Ein Sonntagskind halt.

(NGZ)
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