Expertengespräch Ronny Rogawska Und Jörg Bohrmann "Die Dänen sind heute ganz leicht favorisiert"

Neuss · Ein deutscher und ein dänischer Handballtrainer beleuchten das Duell um den Einzug ins Halbfinale der Handball-EM am heutigen Abend.

 Ronny Rogawska - der Däne lebt seit 16 Jahren in Deutschland.

Ronny Rogawska - der Däne lebt seit 16 Jahren in Deutschland.

Foto: -woi

Rhein-Kreis Der deutsche Handball sorgt nach Jahren der Flaute endlich wieder für positive Stimmung im Lande: Zeitweise mehr als acht Millionen Zuschauer sahen am Sonntagabend den Europameisterschafts-Krimi zwischen Deutschland und Russland. Kaum weniger dürften es heute werden, wenn ab 18 Uhr (ARD) das "Endspiel" um den Einzug ins Halbfinale gegen Dänemark auf dem Programm steht.

 Jörg Bohrmann - der Hesse lebt seit 2006 in Dormagen.

Jörg Bohrmann - der Hesse lebt seit 2006 in Dormagen.

Foto: Zaunbrecher

Was liegt da näher, als zwei Experten um ihre Einschätzung des heutigen Spiels, der beiden Mannschaften und des bisherigen EM-Verlaufs zu bitten. Wer könnte das besser als die Trainer der heimischen Top-Klubs, die beide selbst lange Jahre in der Bundesliga gespielt haben. Um so mehr, als einer der beiden Däne ist - Ronny Rogawska, vor 46 Jahren in Aarhus geboren, im vierten Jahr auf der Bank des TV Korschenbroich und davor fast anderthalb Jahrzehnte als Spieler und Trainer bei der HSG Düsseldorf. Sein Gegenpart ist Jörg Bohrmann, der vor 47 Jahren in Wiesbaden das Licht der Welt erblickte, in der Bundesliga bei der SG Wallau-Massenheim, dem TV Niederwürzbach und dem TuS Nettelstedt spielte und den TSV Bayer Dormagen 2013 in die Zweite Bundesliga führte.

Wir haben beiden vier Fragen gestellt: Wie schätzen Sie die "eigene" und wie die "gegnerische" Mannschaft ein, was erwarten Sie vom Spiel heute Abend und welche Erkenntnisse haben sie bisher aus der Europameisterschaft gezogen. Rogawska über die Dänen Die Jungs haben das bis jetzt richtig gut gemacht. Sie haben gezeigt, was den dänischen Handball auszeichnet - das schnelle Umschalten von der Abwehr auf den Angriff und ein technisch sehr, sehr guter Handball. Teilweise ist das schon riskant, was sie in der Deckung spielen, aber es funktioniert meistens. Und ich finde es cool, was der Trainer (der einst auch in Dormagen tätige Isländer Gudmundur Gudmundsson, Anm. d. Red.) macht, vor allem, dass er sehr viel wechselt. Das kann bei den hohen Belastungen der Spieler am Ende entscheidend sein. Bohrmann über die Dänen Ich denke, sie haben noch Luft nach oben. Eine sehr schnelle Mannschaft, das Umschalten von Abwehr auf Angriff hat Weltklasseniveau. Für mich neben Frankreich der Favorit auf den EM-Titel. Rogawska über die Deutschen Ich finde es super, wie sie sich bisher präsentiert haben. Damit war nach den ganzen Ausfällen vor Turnierbeginn nicht zu rechnen. Aber der Bundestrainer hat genau das richtige gemacht, sich damit erst gar nicht zu beschäftigen. Sie spielen einen richtig guten Ball und sind, vor allem angesichts ihres Alters und ihrer Erfahrung, erstaunlich souverän. Mir imponiert, dass die jungen Leute unbekümmert und trotzdem gleichzeitig diszipliniert spielen. Die Deutschen haben es absolut verdient, da zu stehen, wo sie jetzt stehen - und es wäre schade, wenn sie ausgerechnet an "meinen" Dänen scheitern würden. Bohrmann über die Deutschen Sensationell, was die Mannschaft bisher an Leistung abruft. Da steckt viel taktisches Können und viel Spielwitz drin. Und die durchweg jungen Spieler sind vollkommen fokussiert - da sieht man die Handschrift des Bundestrainers, der bisher einen Riesenjob gemacht hat, vor allem unter den personellen Voraussetzungen, mit denen er in dieses Turnier gehen musste. Rogawska über das heutige Spiel Dieses Spiel wird von der Abwehr entschieden. Wer da gut steht und dann das schnelle Umschalten nach vorne schafft, hat die besseren Karten. Das wird hochinteressant, denn genau das war bisher ja die Stärke beider Mannschaften. Entscheidend kann für mich sein, welcher von den Torhütern einen richtig guten Tag erwischt - ihre Leistung wird eine Riesenrolle spielen. Durch den Ausfall von Steffen Weinhold und Christian Dissinger sind die Dänen vielleicht ein ganz bisschen favorisiert, denn das wird von den Deutschen nur schwer zu kompensieren sein. Bohrmann über das heutige Spiel Das wird mit Sicherheit ein hochintensives Spiel. Da treffen zwei Mannschaften aufeinander, die alle Register ziehen und alles geben werden, kämpferisch wie taktisch. Die entscheidende Frage wird sein, wie die Deutschen die Ausfälle von Steffen Weinhold und Christian Dissinger kompensieren können. In Kai Häfner und Julius Kühn hat der Bundestrainer zwei Spieler nachnominiert, die sicher kaum schwächer sind. Das Problem ist, dass sie noch nicht eingespielt sind, da wird es einige Zeit dauern, bis sie den Rhythmus finden. Mal schauen, ob die bisherige mannschaftliche Geschlossenheit das kompensieren kann. Unter diesen Umständen sind die Dänen heute Abend wohl leicht favorisiert. Rogawska über die Lehren aus der EM Ich habe viele neue Auslösehandlungen gesehen. Und ich finde es sehr interessant, zu beobachten, wie die einzelnen Mannschaften in der Abwehr individuell arbeiten. Als Trainer kannst du da immer viel lernen, vor allem, weil das Niveau bei dieser EM sehr hoch ist - viel höher als bei einer WM, bei der es viel krassere Leistungsunterschiede gibt. Hier muss fast jeder in jedem Spiel ans Limit gehen. Bohrmann über die Lehren aus der EM Für mich ist die wichtigste Erkenntnis, dass unser Ausbildungssystem in Deutschland funktioniert. In dieser Nationalmannschaft spielen doch alles junge Leute, die in den vergangenen Jahren von Vereinen ausgebildet worden sind, die ein ähnliches Konzept verfolgen wie wir. Und ich sehe für diese Mannschaft eine glänzende Perspektive, eben, weil sie noch so jung ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir in ein paar Jahren wieder um Titel mitspielen werden.

(NGZ)
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