Santiago/Chile Zweite Heimat gefunden

Miriam Thurow arbeitet in Chile als Freiwillige in einem Projekt für Abhängige.

 Die freiwilligen Helferinnen Miriam (r.) und Hanna grüßen ihre Freunde und Familien.

Die freiwilligen Helferinnen Miriam (r.) und Hanna grüßen ihre Freunde und Familien.

Foto: on

Vor fast fünf Monaten hat für mich das bisher größte Abenteuer meines Lebens angefangen: Ohne Spanisch zu sprechen, bin ich nach Chile aufgebrochen. Dort arbeite ich seit fast fünf Monaten als Freiwillige im "Trampolín", einem Projekt für Menschen mit Drogen- oder Alkoholsucht, und im Projekt "Fútbol 3", einem Straßenfußballprojekt für Kinder aus den armen Vierteln Santiagos.

Zu meiner Arbeit im "Trampolìn" gehört es vor allem den Menschen zuzuhören und ihnen bei den täglichen Arbeiten im Haus zu helfen. Mit den Kindern treffe ich mich abends auf einem Fußballplatz und spiele mit ihnen nach sozialen Spielregeln, die sie selbst festlegen, Fußball. So sollen die Kinder soziale Kompetenzen erlernen. Dazu gehören der respektvolle Umgang miteinander und die Integration der Mädchen oder kleineren Kinder.

Da nun Weihnachten vor der Tür steht, fällt mir das erste Mal so richtig auf, dass mir die deutschen Traditionen, wie Weihnachtsmärkte, Tannenbäume und Glühwein fehlen. Dieses Jahr werden meine Geschenke unter einem Kunsttannenbaum mit ganz schön viel Glitzer und bei einer Außentemperatur von 35 Grad liegen. Kaum vorstellbar: ohne Baumkuchen, Lebkuchen, Pfeffernüsse und vor allem ohne das traditionelle Weihnachtsessen mit meiner Familie.

Dafür kann ich Weihnachten mit meiner neuen Familie im "Trampolín" und mit meinen Mitfreiwilligen feiern. Am 19. Dezember wurden bereits alle Obdachlosen aus Puente Alto zum Weihnachtsessen ins "Trampolín" eingeladen. Heiligabend werde ich auch im "Trampolín" verbringen und ich werde— glaube ich — nicht allein sein mit meiner Sehnsucht nach Familie und Zuhause.

Einige der Menschen im "Trampolín" müssen Weihachten auch ohne ihre Familie feiern. Ich habe mich zuletzt mit einem Freund unterhalten, der mir erzählt hat, dass Weihnachten für ihn seit vielen Jahren kein Fest der Freude mehr ist. Jedes Mal gab es Streit an den Festtagen. Er ist dann weggegangen, hat Zuflucht im Alkohol und in Drogen gefunden.

Dieses Jahr wird er nicht mit seiner Familie feiern. "Damit ich nächstes Jahr ohne Drogen und ohne Alkohol ein Fest der Freude mit meiner Familie verbringen kann", so seine Worte. Seine Geschichte hat mich sehr bewegt, weil mir klar geworden ist, dass nicht viele das Glück haben jedes Jahr ein schönes Weihnachtsfest mit der Familie feiern zu können.

In diesem Jahr muss ich zwar auf ein paar Dinge verzichten, aber dafür bekomme ich umso mehr geschenkt. Dazu gehört vor allem meine zweite Familie, die ich hier in Chile gefunden habe. Ich bin, trotz meiner im Moment wachsenden Sehnsucht nach daheim, unglaublich glücklich, dort arbeiten zu können.

Chile hat mich bisher auch mit seiner atemberaubenden Natur begeistert. Egal in welche Richtung ich blicke, wenn in Santiago bin, sehe ich die zum Teil immer noch schneebedeckten Kuppen der Anden. Meistens werden diese abends während des Sonnenuntergangs fast blutrot gefärbt und am Himmel bietet sich ein Farbenspiel in verschiedenen Rottönen. Meine Freizeit verbringe ich entweder mit Reisen oder mit der Erkundung von Santiago de Chile.

Als ich mich für meinen Freiwilligendienst in Chile entschieden habe, war dieses Land ein fast unbeschriebenes Buch für mich. Je mehr ich mich aber mit den Erzählungen der Menschen auseinandersetze, merke ich, dass ein Jahr nicht ausreichen wird, um das Land in allen Einzelheiten kennenzulernen.

Eine alte Legende beschreibt am besten, wie man sich Chile vorstellen muss: "Als Gott seine in sieben Tagen erschaffene Welt betrachtete, stellte er fest, dass noch einiges übrig geblieben war: Vulkane, Urwälder, Wüsten, Fjorde, Flüsse und Eis. Er gab den Engeln den Auftrag, alles hinter einem langen Gebirge aufzuschütten — den Anden. So entstand Chile, das vielgestaltigste Land der Erde."

Ich plane, sowohl den Norden als auch den Süden des Landes zu bereisen. Ein Highlight wird mein Besuch der Osterinseln sein. Ich wünsche allen, vor allem meiner Familie, ein schönes, besinnliches Weihnachtsfest und ein frohes neues Jahr. Ich vermisse Euch und werde an Euch denken! Feliz Navidad!

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