Erstes NGZ-Wirtschaftsforum Großprojekte bürgernah umsetzen

Rhein-Kreis Neuss · Beim ersten NGZ-Wirtschaftsforum haben sich in dieser Woche führende Köpfe der Wirtschaft im Rhein-Kreis getroffen. Der Tisch war hochkarätig besetzt, unter anderem mit Landrat Hans-Jürgen Petrauschke, Dieter Porschen Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein, Chempark-Chef Ernst Grigat und Michael Werhahn, Finanzvorstand der Werhahn-Gruppe. Sie sprachen über den die Chancen des Standortes und die Zukunft der Industrie.

NGZ lädt zum Wirtschaftsforum
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Einen Austausch über die Wirtschaft im Rhein-Kreis und neue Impulse für Industrie und Mittelstand - das waren die Ziele des "NGZ-Wirtschaftsforums", das unsere Redaktion in dieser Woche mit hochkarätigen Teilnehmern zum ersten Mal veranstaltete. Themen: Ein Gespräch über den Industriestandort, "Wutbürger", den demografischen Wandel und Chancen für neue Gewerbeansiedlungen.

Industrie braucht Akzeptanz

Gerade erst hat sich die Wirtschaft des Rhein-Kreises bei der "Langen Nacht der Industrie" präsentiert und die Bandbreite des hiesigen Industriestandorts eindrucksvoll demonstriert. Ob der eine Zukunft hat, hängt vor allem - da sind sich alle Teilnehmer des NGZ-Wirtschaftsforums einig - von der Akzeptanz der Bevölkerung ab. "Den Menschen muss deutlich werden, dass die Industrie Arbeitsplätze und Wohlstand sichert", sagt Landrat Hans-Jürgen Petrauschke, der allerdings auch darauf verweist, dass die Wirtschaft sich und ihre Arbeit besser erklären müsse, gerade bei Großprojekten. "Das sieht man am Beispiel des Desasters um die CO-Pipeline", so Petrauschke.

Der Dormagener Chempark-Leiter Ernst Grigat spricht in diesem Zusammenhang gar von einer "Bringschuld der Industrie" gegenüber dem Bürger. Allerdings könne er für Currenta sagen, "dass wir mehr interessierte Nachfragen als wütende Widersprüche erfahren".

Porschen: Widerstände ausgeblieben

Dieter Porschen, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein, verweist darauf, dass sich die Informationspolitik der Unternehmen stark verbessert habe. "Die Botschaft der Bürger ist angekommen", sagt er im Hinblick auf das größte Protest-Projekt bundesweit, "Stuttgart 21". Im Rhein-Kreis seien Widerstände wie die gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt allerdings bislang ausgeblieben: "Es zeigt sich deutlich: Wenn die Menschen nah am Standort wohnen und die Unternehmen kennen, sind die Konflikte gering."

Dass nicht nur Widerspruch, sondern eher Interesse vorherrscht, ist auch der Eindruck von Rainer Schäfer, Geschäftsführer der Neuss-Düsseldorfer Häfen. "4500 Anmeldungen auf 2500 Plätze bei der Langen Nacht der Industrie sprechen für sich", meint Schäfer, der etwa bei den Bauprojekten am Reisholzer Hafen auf Verständnis der Anwohner setzt. Einig war sich die Gruppe darüber, dass nicht einzelne "Wutbürger" die Meinung über Großprojekte dominieren dürften. "Am Ende jedes Entscheidungsprozesses steht das Abwägen der Politik", sagt Porschen, der darin beim Neusser Bürgermeister Herbert Napp Unterstützung findet: "Wichtig ist, dass die Politiker bei Gegenwind nicht umfallen wie Dominosteine", so Napp.

Von einer "mehrheitsfähigen Akzeptanz" spricht dann auch Chempark Chef Grigat. RWE-Kraftwerksdirektor Eberhard Uhlig aus Grevenbroich schließt sich an: "Dialog ist richtig und gehört selbstverständlich dazu. Aber letztlich müssen auch Beschlüsse gefasst werden, sonst werden wir dringend benötigte Großprojekte wie die neuen Stromtrassen in Deutschland nicht realisieren können."

Eine Emotionalisierung wirtschaftlicher Themen ist in diesem Zusammenhang das, was Unternehmer Wilhelm Ferdinand Thywissen beunruhigt. Ihn ärgert die Formel "Null Toleranz", die weder bei Produktionsvorschriften noch in der Umsetzung von Großprojekten umsetzbar sei. "Wir können Transparenz aushalten", sagt Thywissen. "Gleichzeitig fordern wir für unsere Projekte auch ein gewisses Maß an Verständnis ein."

Dass Debatten von Emotionalisierungen geprägt sind, darauf macht auch Günter Haberland, Geschäftsführer bei Zietzschmann Logistik, aufmerksam. Die Biotechnologie sei aus Deutschland bereits erfolgreich vertrieben worden, Diskussionen über innovative, sicherere Atomreaktoren seien nach der Katastrophe von Fukushima nicht mehr zu führen gewesen. Ein anderes Beispiel: Alle Welt spreche plötzlich von "Monster Trucks" wenn es um längere Lkw gehe. "Das schürt Ängste und Proteste, Fakten spielen in solchen Diskussionen keine Rolle mehr ", sagt Haberland.

Was der Industriestandort vor allem brauche, das betont Rainer Mellis, Vorstandssprecher der Volksbank Düsseldorf Neuss, sei Verlässlichkeit, vor allem seitens der Politik. Darin ist er sich mit Bernhard Eich, Werksleiter bei Hydro Aluminium, einig. Eich erinnert an die Geschichte des Werks, das seit 50 Jahren existiert und das weiter bestehen soll. "Das funktioniert aber nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Politik uns unterstützt", so der Werksleiter. Gebaut worden sei Hydro ursprünglich "auf der grünen Wiese", doch die Landschaft habe sich geändert, sei urbaner geworden. "Mittlerweile ist die Wohnbebauung direkt in der Nachbarschaft", sagt Eich. "Ganz klar, dass deswegen eine andere Informationspolitik eingefordert wird."

Für die Neusser Unternehmerin Jutta Zülow wurzelt das Problem schon im Grundverständnis des Wirtschaftskreislaufes: "Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass es ohne Produktion keine Wertschöpfung mehr gibt. Dann können letztlich auch die Dienstleister nach Hause gehen."

Zukunft mit Logostik

Die Wirtschaft im Kreis zeigt sich besorgt um die Infrastruktur der Region, insbesondere über die Probleme im Wegenetz im "Stauland NRW". So sieht IHK-Hauptgeschäftsführer Porschen das Land auf Engpässe zulaufen, wenn er auch optimistisch ist, dass gerade der Rhein-Kreis gute Chancen hat, neue Logistikfirmen anzulocken.

Hafen-Chef Schäfer, der gemeinsam mit der IHK das Logistik-Potenzial des Kreises untersucht hat, sieht viele Areale in der Region, die sich als Logistikflächen anbieten würden. Problematisch sei der Flächenbedarf der Logistiker: "150 000 Quadratmeter sind da keine Seltenheit", so Schäfer. Die könne mittlerweile kaum eine Kommune mehr an einem Stück anbieten. Wichtig sei aber nicht nur das Flächenangebot, sondern auch die Anbindung. "Wo die Infrastruktur stimmt, floriert die Wirtschaft", fasst der Neusser Bürgermeister Herbert Napp die Überlegungen dazu zusammen.

Beschwerden über das "Stauland NRW" könne er verstehen, so Napp. Er verwies aber auf die Probleme bei der Finanzierung von Straßen und Brücken: "17 Milliarden Euro fehlen allein für die Instandhaltung." Welche Folgen das für die Industrie hat, skizziert Chempark-Leiter Grigat, der von maroden Brücken entlang des Rheins erzählte, von denen mehrere bereits für den Schwerlastverkehr gesperrt seien. "So kommt es, dass Schwerlaster für eine Strecke, die ein Auto in 21 Kilometern schafft, ganze 120 Kilometer Strecke aufwenden müssen."

Logistiker Günter Haberland befürchtet, dass Deutschland bald nicht nur bei Lohn- und Energiekosten Spitzenreiter, sondern auch bei den Kosten für gute Logistik zu teuer werden könnte. "Langfristig wird das Arbeitsplätze kosten", warnt Haberland und mahnt an, beim Ausbau der Infrastruktur die Wasserwege nicht aus den Augen zu verlieren: "Derzeit verliert die Binnenschifffahrt an Marktanteil im Transportwesen. Sie liegt bereits bei unter zehn Prozent."

"Auf der Seite des Straßenverkehrs muss unbedingt etwas passieren", fordert auch Hydro-Werksleiter Eich. "Sonst steuern wir auf einen Kollaps zu." "Und das", so betont Hafen-Chef Schäfer, "wird letztlich ohne Finanzierung durch die allgemeinen Steuermittel in der nötigen Kürze der Zeit kaum möglich sein." Gleichzeitig müsse sich Nordrhein-Westfalen, so Schäfer, des Wertes der Häfen und der Chance der Binnenschifffahrt als Entlastung für die vom Kollaps bedrohten Straßen endlich richtig bewusst werden. Wenn es zum Beispiel um die Verteilung von Bundesmitteln gehe, ließen gut organisierte Länder mit konkurrierenden Häfen NRW häufig schlecht aussehen.

Ein Muss: Gewerbeflächen

Ein wichtiges Zukunftsprojekt ist für Landrat Petrauschke das interkommunale Gewerbegebiet Silbersee an der Stadtgrenze von Neuss und Dormagen. Bürgermeister Napp wähnt auf dem Gebiet gar einen "Schatz am Silbersee", der vor allem durch seine trimodale Anbildung punkten könne. Petrauschke wiederum betont, Verwaltungen müssten heute nicht nur sorgfältig, sondern auch schnell sein. "Wer sich neu ansiedeln will, möchte nicht warten, sondern bauen", sagt der Landrat, der Potenzial für Gewerbeflächen auch auf ehemaligen Braunkohle-Abbaugebieten sieht. Ein Beispiel: das geplante interkommunale Gewerbegebiet von Grevenbroich und Jüchen.

Ein weiteres Thema: das holländische Modell, das auf Gewerbeflächen längs der Autobahnen setzt. "Da liegt noch viel Potenzial, das wir heben können", sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Porschen. In Deutschland schrecke man davor noch zurück und stelle stattdessen Industrie- und Gewerbeansiedlungen in den Stadtzentren oder auf Brachflächen ins Zentrum der Ansiedlungspolitik. Aus Sicht der IHK ein Fehler: Es drohten fortan Konflikte mit angrenzenden Nutzern, vor allem im Wohnungsbau.

Innenstadt und Gewerbegebiete

Eine Absage erteilen sowohl Petrauschke als auch Porschen der Bezirksregierung mit Blick auf deren Berechnungen zum künftigen Bedarf an Gewerbeflächen. Dass dabei der Flächenverbrauch in der Vergangenheit als Maßstab genommen werde, bilde die Realität mit Grundstücksnachfragen in teils enormer Größe und völlig neuen Konkurrenzsituationen in Europa nicht mehr ab. Und noch ein drängendes Thema für die Industrie: Inwieweit vertragen sich die Innenstädte mit Gewerbeansiedlungen? Ein Beispiel sind die Pläne, das frühere Werhahn-Gelände am Hafen in ein Quartier mit den Schwerpunkten Wohnen, Arbeit und Freizeit umzugestalten. Während Michael Werhahn betont, dass sein Unternehmen, mit der Plange-Mühle selbst Hafenanlieger, schon aus eigenem Interesse nicht daran gelegen sei, der Industrie am Standort zu schaden, betrachtet Wilhelm Ferdinand Thywissen das Projekt mit gemischten Gefühlen: "Es gibt keinen Besitzstand für die Industrie." Ganz gleich, was vereinbart oder in Sonderregelungen besprochen werde: Komme es zum Konflikt, habe die Industrie das Nachsehen. "Gegen ein benachbartes Wohngebiet werden wir immer verlieren."Wolle die Industrie ihre Produktionsstandorte nicht gefährden, müsse sie sich schützen und auf klare Abgrenzung pochen. "Wenn unsere Betriebe nicht 24 Stunden am Tag produzieren können oder eine Anlieferung mit dem damit verbundenen Lkw-Lärm rund um die Uhr nicht mehr möglich ist, hat ein Standort keine Zukunft mehr." Dies sei kein "böser Wille", so Thywissen, sondern schlicht die einzige Chance von Industriebetrieben.

Mittelstandsfinanzierung

Rund 30 Prozent der Handwerksbetriebe im Bereich der Kreishandwerkerschaft Niederrhein berichten von restriktiverem Verhalten der Banken bei der Kreditvergabe - Klaus Koralewski, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Niederrhein brachte diese Zahl mit zum NGZ-Forum. Unternehmerin Jutta Zülow bestätigt: "Es wird schwieriger, eine Finanzierung zu bekommen, wenn Mittelständler nicht bereit sind, persönlich zu bürgen." Offenbar eine Folge der strengeren Regularien für die Kreditvergabe. Michael Schmuck, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Neuss, hingegen will die von Koralewski genannte Quote hinterfragt wissen: "Bei solchen Umfragen muss man sich genau ansehen, wie die Fragen formuliert wurden." Grundsätzlich könne bei der Sparkasse aktuell von einer Kreditklemme keine Rede sein: "In den Kreditlinien ist noch reichlich Luft." Eine persönliche Bürgschaft sei keine Pflicht, "ausreichend Eigenkapital im Unternehmen tut es auch". Gleichzeitig unterstreicht der Sparkassenchef aber auch: "Es kann nicht sein, dass im Kreditgeschäft die Chancen allein beim Unternehmen und die Risiken beim Geldinstitut liegen."

Auch Thomas Kolvenbach, Geschäftsführer der Comco Leasing mit Sitz in Neuss, sieht den Mittelstand nicht von Finanzierungsmöglichkeiten abgeschnitten: "Im Leasingverband gibt es keine Restriktionen. Eigentlich dürfte es nur wenig unerfüllte Wünsche geben." Für die Volksbank Düsseldorf Neuss bestätigt das auch Vorstandssprecher Rainer Mellis: "Wir rechnen in diesem Jahr mit zweistelligen Zuwächsen im Kreditgeschäft." Allerdings sei das bundesweit nicht überall der Fall. Der Rhein-Kreis habe das Glück, ein "ausgezeichneter Wirtschaftsstandort" zu sein, in dem die Unternehmen zudem -zum Beispiel mit Sparkassen und Volksbanken - von Geldinstituten profitieren könnten, die sich Nähe als entscheidendes Merkmal ihrer Geschäftspolitik auf die Fahnen geschrieben hätten. "Das macht sich gerade in Krisenzeiten bemerkbar, denn dann kommen die Kunden im Zweifel zu uns", hat Mellis beobachtet.

Initiative für Fachkräfte

Nicht weniger wichtig als mangelnde Gewerbeflächen, allerdings bei vielen Unternehmen als Problematik noch nicht so sehr im Fokus, steht der drohende Fachkräftemangel. Mit der demografischen Entwicklung in Deutschland, dem Phänomen der schrumpfenden, alternden Gesellschaft, steht auch die Wirtschaft im Rhein-Kreis vor der Herausforderung, Lösungen zu finden, um nachrückende Generationen möglichst vollständig in die Arbeitswelt zu integrieren und gleichzeitig Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Arbeitnehmer auch in höherem Alter noch leistungsfähig und motiviert in den Unternehmen tätig sind.

Jutta Zülow engagiert sich und setzt dabei auf eine Vielzahl von Initiativen und Projekten. "Wirtschaft pro Schule" gehört dazu, aber auch eine Kooperation mit der Hochschule Niederrhein. Das Ziel: Studienabbrecher aus Elektronikstudiengängen sollen die Chance bekommen, eine verkürzte betriebliche Ausbildung zu absolvieren. "Ohne solche Initiativen wird schnell zur Regel werden, was mir heute schon passiert: Ich bekomme Stellen nicht mehr besetzt."

IHK-Hauptgeschäftsführer Porschen sieht das Problem in Branchen wie dem Bau oder in gewerblichen Berufen. Die Kommunen könnten ihren Beitrag dazu leisten, so Landrat Petrauschke, dem drohenden Personalmangel zu begegnen: "Wollen wir Menschen für unseren Standort begeistern, muss das Umfeld stimmen - das reicht vom Wohnangebot über die soziale und schulische Infrastruktur bis zu Einkaufsmöglichkeiten und Kulturangeboten." Für das Handwerk warnt Koralewski vor einer abschätzigen Beurteilung der Hauptschulen: "Noch immer kommen 60 Prozent unserer Auszubildenden aus den Hauptschulen, teils aus den 10b-Klassen - und nicht selten sind das hinterher die Prüfungsbesten."

Information über Chancen und Berufe ist Pflicht, darin sind sich die Teilnehmer des NGZ-Wirtschaftsforums einig. "Wir müssen deutlich machen, dass nicht allein ein Studium eine gute berufliche Laufbahn ermöglicht", sagt Jutta Zülow. Die duale Ausbildung sei den neuen Bachelor-Studiengängen häufig überlegen. Dennoch stehe das Studium in der Wertigkeit immer noch über der betrieblichen Ausbildung: "Das müssen wir dringend korrigieren", sagt die Neusser Unternehmerin.

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