Neuss Brexit würde Wirtschaft im Rhein-Kreis direkt treffen

Neuss · Großbritannien ist für die Region ein wichtiger Handelspartner. Ein Austritt des Landes aus der EU wäre im Rhein-Kreis Neuss spürbar.

So läuft die Brexit-Abstimmung am 23. Juni 2016 ab
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Foto: dpa, jhe

Geografische Entfernungen können in der globalisierten Welt ganz schön irreführend sein. Knapp 500 Kilometer Luftlinie sind es von Neuss nach London. Aber wer glaubt, dass ein Brexit nicht bis in den Rhein-Kreis Neuss und das Umland spürbar wäre, liegt falsch. Im IHK-Bezirk Mittlerer Niederrhein sind 78 Unternehmen ansässig, deren Kapital aus Großbritannien stammt. Britische Investoren haben 2015 in NRW in 26 Projekte investiert, vier davon am Niederrhein.

Laut der landeseigenen Wirtschaftsförderungsgesellschaft NRW.Invest rangiert Großbritannien damit auf Platz fünf der wichtigsten Investoren. IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz blickt daher mit Sorge auf das Brexit-Referendum am 23. Juni. "Großbritannien ist ein wichtiger Handelspartner für die Betriebe am Niederrhein", sagt er. "Wir hoffen, dass es nicht zum Brexit kommt. Im Falle eines Brexit erwarten wir einen stärkeren Dämpfer für die hiesige Wirtschaft." Denn für Nordrhein-Westfalen ist Großbritannien der drittwichtigste Exportmarkt. "2015 exportierten nordrhein-westfälische Unternehmen Waren im Wert von 13,9 Milliarden Euro in das Vereinige Königreich", erklärt Steinmetz. Im Vergleich zum Vorjahr sei dies ein Zuwachs von 14 Prozent.

Doch der Exportmarkt würde im Falle eines Brexit zum Sorgenkind. Sollten sich die Briten gegen einen Verbleib in der EU aussprechen, bedeutet dies schließlich den Austritt aus dem Europäischen Binnenmarkt - nach einer Übergangszeit von zwei Jahren. "Eine mögliche Abwertung des britischen Pfunds gegenüber dem Euro und eine höhere Inflation könnten deutsche Produkte in Großbritannien verteuern und deren Absatz bremsen", befürchtet Steinmetz. "Das kann letztendlich auch Arbeitsplätze kosten." Zwar kommt ein Ausblick auf mögliche Folgen eines Brexit auf die Wirtschaft noch einem Blick in die Glaskugel gleich. "Niemand weiß, wie die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Rest der EU aussehen würden, sollte Großbritannien die EU verlassen", sagt Steinmetz. "Das ist Gegenstand der dann anstehenden Verhandlungen."

Im Falle eines Brexit müsste Großbritannien (Frei-)Handelsverträge mit jedem der 27 EU-Staaten schließen. Bertram Gaiser, Geschäftsführer der Standort Niederrhein GmbH, weist zudem darauf hin, dass im "Falle eines Brexit auch die Frage der Freizügigkeit" geklärt werden müsse. Die Standort Niederrhein GmbH ist die regionale Wirtschaftsförderung der Städte Krefeld und Mönchengladbach, der Kreise Kleve, Wesel, Viersen und Rhein-Kreis Neuss sowie der IHK Mittlerer Niederrhein. Der Rechtsstatus der Briten, die in EU-Ländern leben und arbeiten, muss dann geklärt werden.

Die Ungewissheit treibt Befürchtungen an. Laut einer Umfrage der Deutschen Außenhandelskammer (AHK) Großbritannien erwarten rund 80 Prozent der knapp 700 AHK-Mitgliedsunternehmen von einem Brexit negative Auswirkungen auf ihr Geschäft. Eine Untersuchung des ifo-Instituts sieht neben der Kfz-Industrie vor allem die Lebensmittelindustrie und die Metallerzeugung besonders betroffen. "Das sind Branchen, die in unserer Region zu den industriellen Leitbranchen gehören", betont Jürgen Steinmetz. Wirtschaftlich und politisch würde ein Brexit eine Zäsur bedeuten. Karl-Heinz Florenz (CDU), Europaabgeordneter vom Niederrhein, fordert eine klare Haltung, falls sich die Briten gegen die EU-Mitgliedschaft aussprechen. "Bei einem Nein wird das Europa der 27 sofort und konsequent handeln", betont er. "Nach einer Scheidung muss nun mal der Möbelwagen kommen, und zwar nicht irgendwann, sondern umgehend."

(NGZ)
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