Remscheid "Strafen - für Opfer zu milde, für Täter zu hart"

Remscheid · In seiner Bürgerpredigt verneinte Rolf Söhnchen, Amtsgerichtsdirektor im Ruhestand, allgemeingültige Gerechtigkeit. Er empfahl eine "selbstbestimmte, uneigennützige Lebensweise".

 Rolf Söhnchen beleuchtete in seiner Bürgerpredigt das Thema Gerechtigkeit.

Rolf Söhnchen beleuchtete in seiner Bürgerpredigt das Thema Gerechtigkeit.

Foto: Hertgen

Mit sehr deutlichen Worten über das Thema "Gerechtigkeit" sprach Rolf Söhnchen, langjähriger Direktor des Remscheider Amtsgerichtes und erster Ombudsmann für den Strafvollzug in NRW, in seiner Bürgerpredigt am Sonntag in der Evangelischen Stadtkirche. Sein Fazit: Menschliche Gerechtigkeit gibt es nicht, und göttliche Gerechtigkeit lässt den Menschen ratlos angesichts der Verhältnisse auf Erden. Eine selbstbestimmte, uneigennützige Lebensweise könne helfen.

Der Ex-Richter zog eine Sammlung deutscher Gesetze aus der Tasche mit über 2000 Gesetzen. "Menschliche Gesetze sind nicht zeitlos", sagte Söhnchen. Sie sind angepasste Regeln an den Zeitgeist. So seien heutzutage Ehebruch, Abtreibung in einigen Fällen und Homosexualität im Gegensatz zu früher nicht mehr strafbar. "Deswegen lebten wir in einem Rechtsstaat und nicht in einem Gerechtigkeitsstaat." Die Justiz bemühe sich, jeden nach seiner eigenen individuellen Schuld zu behandeln - seine Lebensumstände müssen berücksichtigt werden. 90 Prozent der jugendlichen Straftäter in den Gefängnissen seien ohne väterliche Betreuung aufgewachsen. Was soll ein Richter dann tun? Schwere Jugend, also zehn Straftaten frei? Natürlich nicht. "Man kann sie nicht frei herumlaufen lassen", sagte Söhnchen.

Um das Leben solcher Jugendlichen zu korrigieren, seien drei bis vier Jahre intensive Betreuung nötig. Dafür haben selbstredend die Opfer selten Verständnis. Das Dilemma der Justiz: für Opfer zu milde, für Angeklagte zu hart. Die meisten Menschen wollen gar keine Gerechtigkeit - sie wollen "ihr Recht" und nicht "das Recht". Und klappt das nach ihrer Meinung nicht, muss ein "guter Anwalt" her. Dann seien oft dessen Fähigkeiten als Advokat gefragt. Offensichtlich ein Dauerproblem der Menschheit: "Was nützen die Gesetze uns, wenn gute Sitten fehlen?", habe sich der römische Dichter Horaz bereits gefragt. Auch die göttliche Gerechtigkeit bleibe im Dunkeln, sagte Söhnchen. Im biblischen Gleichnis vom Weinbergbesitzer zahle dieser allen Arbeitern den gleichen Lohn unabhängig von der Dauer ihrer Beschäftigung. Himmlische Gerechtigkeit liefere keine Antwort auf den Sinn des Lebens. Was bleibt? Die Gnade Gottes könne man sich nicht verdienen. "Der Gerechte wird durch Glauben leben", zitierte er die Bibel. Die Position des Atheisten ließ er bewusst außer Acht. Allgemein sah er in einer "riskanten, uneigennützigen Lebensweise", die nicht mit dem Mainstream einhergehe, einen Weg, das Leben erträglicher zu machen - "ob mit oder ohne himmlische Wirkung." "Schön, dass solche offenen Worte mal in der Kirche gesagt worden sind", sagte eine Besucherin.

(RP)
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