Remscheid Klänge vom anderen Ende der Welt

Remscheid · Dohnányis zweite Symphonie als Gegengift zu Bergs schmerzhafter Musik

 Daniel Auner spielte Alban Bergs Violinkonzert.

Daniel Auner spielte Alban Bergs Violinkonzert.

Foto: Pro Classics

Nach der Pause des Philharmonischen Konzerts der Bergischen Symphoniker blieb der Platz neben mir frei. Das kann ich nachvollziehen, denn das Konzert für "Violine und Orchester" von Alban Berg geht an die Substanz. Man braucht eine gute innerliche Konstitution, um diesen depressiven Nebelschwaden standhalten zu können. Es erklingen Töne vom anderen Ende der Welt, aus Kammern der Einsamkeit, aus Tälern der Verzweiflung. Der Klang der Violine verzieht sich zum Weltschmerz. Schwarze Löcher der Stille schlucken Bergs Tonfolgen, die aber immer wieder anheben, mal scharfkantig, mal blubbernd. Nach jedem musikalischen Aufschwung folgt im ersten Satz ein Abschwung. Ein tiefer Fall ins Unendliche. Da kann der fabelhafte österreichische Violinist Daniel Auner noch so viel Liebreiz in einen geschmeidigen Klang investieren, aus dieser fiebrigen Unruhezone steigt kein Wohlklang auf.

Der zweite Satz klingt so wie eine veritable Kommunikationsstörung. Die Instrumentengruppen - Violinen, Bratschen und Celli - spielen für sich alleine. Ihre Musiken kreisen wie Trabanten durch den leeren Raum. Und wenn sich ihre Umlaufbahnen kreuzen, dann explodiert es in diesem Kosmos der Zwölftonmusik. Schrill und schaurig. Berg überschrieb sein einziges Violinkonzert mit der Widmung "Dem Andenken eines Engels". Er betrauert darin den Tod von Manon Gropius, der Tochter des Architekten Walter Gropius. Sie starb mit 18 Jahren an einem Ostermontag an Kinderlähmung. Bei dieser Trauerarbeit lotet Berg die Möglichkeiten aus, Wohlklang und Missklang miteinander zu kombinieren. Er schafft damit eine Atmosphäre, die Asche regnen lässt, mal warm, mal kalt.

Generalmusikdirektor Peter Kuhn hat bei der Programmwahl für Zuhörer, die empfindlich auch Bergs Musik reagieren, gut vorgesorgt. Denn zu Beginn erklang Bach, der Quell aller Musik. Kuhn hat Bachs Präludium und Fuge b-Moll (BM 867) aus dem "Wohltemperierten Klavier" fürs Orchester bearbeitet. Ein schwebendes Netz aus Tönen, das sich aus kammermusikalischer Zartheit heraus in weite Räume spannt. Solist Auner nahm von Beginn an zwischen den Orchestermusikern Platz. Ohne Pause, fast übergangslos, setzte Auner mit Bergs Violinkonzert ein. Weniger der Kontrast der Komponisten war in diesem Moment zu spüren, als vielmehr die Evolution der Musik. Ein wunderbarer Einfall.

Wären meine Nachbarn zum zweiten Teil noch geblieben und hätten Ernst von Dohnányis zweite Symphonie gehört, der Weltschmerz des Alban Berg wäre verflogen gewesen. Dohnányis Musik wirkte wie ein Antidepressivum. Hoch dosiert. Im ersten Satz sind es die Geiger, die sich als PS-starke Gruppe zeigen. Ihr Spiel entzündet eine Dynamik, die alle anderen Gruppen ansteckt. Zwischenzeitlich herrschte Anschnallpflicht. Diese aufgeladenen Rhythmen wirken, als hätte man ein Glas Chardonnay (0,2 Liter, 14,5 Prozent) auf ex getrunken. Die Musik steigt einem zu Kopfe. Es ist viel Pathos zu hören, aber es klingt nicht platt. Sechs Contrabässe sorgen für eine wuchtige Grundierung des voluminösen Sounds. Als hätte der Komponist einen Becher Sahne (500 ml) in diesen Soundmix geschüttet, so kaloriengesättigt tönen manche Passagen. Für die feinen Aromen sorgen die pikanten Soli von Oboe, Klarinette und Fagott. Viel Applaus für ein Konzert, das fast rezeptpflichtig gewesen wäre.

(RP)
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