Remscheid Herztöne zwischen Chaos und Stille

Remscheid · Die Bergischen Symphoniker überzeugen mit Werken von Kurt Weill und Schostakowitsch.

Das Orchester spielt, es fehlt der Dirigent. Es geht auch ohne ihn. Doch nur für ein paar Takte aus Kurt Weills Suite Panaméenne. Dann erscheint Generalmusikdirektor Peter Kuhn durch die Seitentüre. Lächelnd. Er schaut, ob alle Musiker für dieses Stück vorhanden sind. Nach einem Indianerrundblick ergreift Kuhn den Taktstock und dirigiert leichtfüßig den so beliebten Kurt-Weill-Sound aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Bläser klingen etwas verhangen, ein Tangoschritt gerät ins Rutschen. Ein fein austariertes Gemisch aus einem jazzigen Bigbandsound und der Grandezza eines klassischen Orchesters durchströmt den Saal. So gleitet der Zuhörer wie nebenbei in einen Konzertabend hinein, dessen Ende man am Schluss bedauert.

Als eine Schauspielerin sich einst bei Bertolt Brecht mit einem Lied vorstellte, soll der Meister des epischen Theaters erstaunt gesagt haben: "Sie können ja singen." Solche Schauspielerinnen hielt er für ungeeignet für sein Theater. Wir sind nicht sicher, ob er die Schauspielerin Delia Meyer eingestellt hätte, die im Brecht/Weill-Stück "Die sieben Todsünden" die Partie der doppelten Anna sang. Einerseits traf sie den anmutig-zarten Ton, andererseits rauhte sie die Bruchstellen in dieser zwischen Herz und Sparkasse zerrissenen Persönlichkeit auf. Ein dialektisches Spiel, das die Nöte des Menschen schildert, der im Grundgesetz des Kapitalismus gefangen ist. Das Orchester spielte zum Niederknien, wild und feinfühlig, punktgenau und filigran. Ist ein solcher Vortrag nach der Pause noch zu übertreffen?

Auf dem Programm stand Schostakowitsch erste Symphonie. Das Meisterwerk eines 19-jährigen Musikstudenten, ein Zeitgenosse von Weill und Brecht. Es handelt sich um eine Komposition von ungewöhnlich fesselndem, erzählendem Schwung, die von einem schwindelnden Höhepunkt zum nächsten rauscht. Seine musikalische Sprache ist beweglich und biegsam. Und Peter Kuhn reizt alle Wechsel im Rhythmus aus, ohne zu überreizen. Es erklingen Passagen, die plötzlich zu einem Chaos der Töne anschwellen und anschließend in gleißender Stille sich beruhigen. Dabei brillieren einige Orchester-Musiker als Solisten. Fünf Schlagzeuger sorgen für den Treibstoff, und das Cello verpackt die Töne in Samt.

Am Ende wollte das Publikum Peter Kuhn und das Orchester nicht mehr von der Bühne gehenlassen. Er hätte das Konzert gleich noch einmal dirigieren können, keiner der Besucher wäre wohl gegangen, trotz DFB-Pokal im Fernsehen.

(RP)
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