Remscheid Eine Frau voller Grausamkeiten

Remscheid · Die Schauspielerin Gilla Cremer beeindruckte mit ihrem Ein-Personen-Abend "Die Kommandeuse" im Teo Otto Theater.

 Gilla Cremer in der Rolle der Kommandeuse Ilse Koch.

Gilla Cremer in der Rolle der Kommandeuse Ilse Koch.

Foto: Theater

Ilse Koch richtet ihr neues Haus ein, die Villa Koch. Alles soll großzügig und repräsentativ wirken, das Wohnzimmer, das Esszimmer, der Salon, die Zimmer für die beiden Kinder. Gleich neben an steht ein Reitstall für die Pferdeliebhaberin, die helle Stoffhosen mit roten Stiefeln trägt. Und der Blick, dieser Blick auf Buchenwald, auf den Ettersberg, wo Goethe sich groß und der Natur so nahe fühlte. Herrlich. Einfach herrlich.

Die Schauspielerin Gilla Cremer lässt in dem von ihr verfassten Ein-Personen-Stück "Die Kommandeuse" die Faschistin Ilse Koch als herrschaftliche Dame auftreten. Eine Frau mit kalkulierendem Charme, die leicht einem Obersturmbandführer der SS den Kopf verdrehen kann. Die Frau des Lagerkommandanten Koch hat das Programm der Menschenverachtung der Nazis tief in sich eingesaugt. "Toleranz ist Schwäche." "Die Häftlinge sind nicht ohne Grund hier." - so lauten ihre Glaubenssätze, die für sie alle Grausamkeit legitimieren.

Das großbürgerliche Auftreten, mit dem Cremer Ilse Koch ausstattet, wirkt umso unerträglicher, je schneller man sich bewusst macht, dass neben dieser historisch verbürgten Villa jeden Tag Menschen geschlagen, gequält, gefoltert, aufgehängt, erschossen und verbrannt wurden. Das Unbegreifliche leuchtet im Alltäglichen dunkel auf. "Die Kommandeuse" ist ein Polit-Drama, das sich geschickt und mit klugen Einfällen der "Hexe von Buchenwald" nähert. Es liefert das Porträt einer historischen Person, die mit den Höllenhunden geheult hat ("Man muss verstehen, mit seiner Zeit zu gehen") und nach der Nazi-Diktatur jede Verantwortung und Schuld von sich wies. Auch nach 22 Jahren im Gefängnis. Die Anstrengung des Verdrängens katapultierte sie in psychotische Zustände. 1967 nahm sie sich den Strick.

Auf der Bühne liegen nach rechts abfallende Podeste, die im Dunkeln weiß schimmern. Sie wirken wie Grabsteine, lassen aber schnelle Orts- und Zeitenwechsel zu, von der Zelle in die Villa, vom Gerichtssaal in das KZ Buchenwald, von der Jugend ins Alter, von einer selbstbewussten blonden Hausherrin zur fast wahnhaften Insassin. Cremer beleuchtet Gelenkstellen in der Biografie der Ilse Koch, die als junge Stenotypistin sich schnell gesellschaftlich komfortabel im Terrorsystem einrichtete. In halblangem Kleid, Staubmantel und Reitpeitsche steht Cremer auf der Bühne, allein mit ihrer Stimme, ihrem Körper. Wenn sie das Märchen von Schneewittchen erzählt, sympathisiert sie mit der Grausamkeit der Zauberin, die nach Herz und Leber des schönen Mädchens verlangt.

Die Episoden aus ihrem Leben setzen sich zu einem Bild von einer Frau zusammen, für die Grausamkeit zum Alltag gehört wie Staubwischen auf der Fensterbank. Nur der Wind von Buchenwald und der Gestank aus dem Krematorium werden ihr später lästig. An diesen Erinnerungen leidet sie noch in der Zelle, aus der sie Gedichte veröffentlicht - "Abendfrieden" heißt ihr liebstes, ein epigonenhaftes Goetherauschen.

Ohne dick aufzutragen, klagt das Stück den Bildungsbürger von damals an. Kulturelle Bildung schützt nicht vor Grausamkeit. Der Humanismus bildet keine Versicherung gegen Sadismus. Auch Himmler spielte mit seinen Kindern Mozart-Sonaten am Feierabend, nachdem er sich tagsüber beim Brennen der Häftlinge in Auschwitz amüsiert hatte. Einen starken Abend präsentierte das Teo Otto Theater zu Saisonbeginn. Die Zuschauer folgten der anderthalbstündigen Reise ins Grauen angespannt, angewidert und atemlos. So wirbt Theater dafür, dass das Gespräch mit den Toten aus dem Dritten Reich weiter geführt werden muss.

(RP)
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