Remscheid Edith Grazia geht - und hinterlässt ihr Wissen

Remscheid · Zwei Jahrzehnte war die 77-jährige Lenneperin die gute Seele des Tuchmuseums und erzählte Besuchern Geschichte und Geschichten. Jetzt zieht sie sich zurück, steht im Notfall aber als Aushilfe bereit.

 Die gute Seele und der feine Zwirn: Edith Grazia in dem Museum, für das sie nach wie vor schwärmt.

Die gute Seele und der feine Zwirn: Edith Grazia in dem Museum, für das sie nach wie vor schwärmt.

Foto: Cristina Segovia-Buendia

Zwei Jahrzehnte lang war sie die gute Seele des Tuchmuseums, das im Sommer 1997 eröffnet wurde. Edith Grazia führte Besuchergruppen durch die Geschichte der bergischen Textilindustrie, die von der Lenneper Familie Hardt und später dem Industriellen Johann Wülfing geprägt wurde. Jetzt zieht sie einen Schlussstrich. Freiwillig.

Grazia kennt die Geschichte der bergischen Textilindustrie selbst sehr gut. Die Lenneperin war schließlich viele Jahre, bis zur endgültigen Schließung der letzten bergischen Textilfabrik im Jahr 1996, bei Wülfing in Dahlerau beschäftig. "Ich war im Verkauf für den Export der Waren zuständig", erzählt Grazia, die sich noch gut erinnert. "Ich war 57 Jahre alt, als die Firma geschlossen wurde. "Da war ich schon zu alt für eine neue Arbeitsstelle, mir fehlten ja nur noch drei Jahre bis zur Rente." Doch die Zeit wusste sie gut zu nutzen: Gleich im Folgejahr nach der Schließung begleitete sie die Entstehung des Lenneper Tuchmuseums und stieg gleich als Ehrenamtliche in das Museumsteam ein, wo sie es mit ihrem Wissen bereicherte. Gruppen aus ganz Deutschland, China und Japan habe sie in den 20 Jahren im Museum begrüßt. "Das war immer eine ganz tolle Zeit. Ich hatte immer sehr viel Spaß daran, unseren Besuchern das Thema näherzubringen und habe mich auch immer sehr wohl in diesen Räumen gefühlt. Es war immer, als würde man nach Hause kommen. Sehr heimelig. Das haben auch einige unserer Besucher gesagt."

Viele Gespräche habe sie in der Zeit geführt, viele neue Bekanntschaften gemacht und, wie sie sagt, "immer wieder etwas Neues gelernt." Auch wenn sie mal keine Lust hatte, ihre Schicht im Museum zu übernehmen, "hinterher war ich froh, dass ich gekommen war."

Einen Lieblingsort im Museum hat Grazia nicht: "Das gehört alles zusammen. Jedes für sich alleine ergebe wenig Sinn." In allen Schubladen kann man hineinschauen, Stoffe fühlen. "Heute macht man sich ja kaum noch Gedanken darüber, aus welchen Stoffen etwas hergestellt ist. Man kauft, was man schön findet, aber weiß nicht, wie es hergestellt wurde, ob es gut oder schlecht ist. Damit wird man bei uns im Museum konfrontiert und es ist wichtig, sich darüber Gedanken zu machen", sagt Grazia. Auch nach 20 Jahren schwärmt sie noch für das Museum. Sie hat sich nicht sattgesehen. Und der Entschluss, nach zwei Jahrzehnten Abschied zu nehmen, fiel ihr nicht leicht - obwohl er freiwillig ist: "Ich habe sehr lange überlegt, schließlich hänge ich sehr am Museum, aber man wird ja nicht jünger und ich wollte nicht, dass man mich irgendwann mit einer Trage hier hinausbringt."

Auch wenn sie nun nicht mehr regelmäßig in der Hardtstraße 2 anzutreffen sein wird, dem Museum wird sie weiterhin verbunden bleiben: "Sollte mal Not am Mann sein, habe ich schon angekündigt, dass ich gerne aushelfe." Sorgen, dass ihr eingebrachtes Wissen nun mit ihr geht, hat die 77-Jährige nicht. "Das Wissen habe ich da gelassen und es kümmern sich auch noch sechs weitere, sehr engagierte ehrenamtliche Kräfte um das Museum. Und sie alle wissen, was ich weiß."

(RP)
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