Remscheid Der Garten als Lebensmittelpunkt

Remscheid · Ob als Anbaufläche, als Rückzugsort, als Paradies aus Kindertagen - Holger Zensen kennt viele Facetten des Kleingärtner-Daseins.

 Selbst ist der Mann: Holger Zensen arbeitet an der Stromversorgung seines Kleingartens.

Selbst ist der Mann: Holger Zensen arbeitet an der Stromversorgung seines Kleingartens.

Foto: Stephan Köhlen / Lena Hogekamp (2)

Der Wandel in der Welt der Kleingärten ist in Holger Zensens Parzelle gut zu erkennen: Wenn er auf der Bank vor seiner rot angestrichenen Laube sitzt, fällt sein Blick über die abschüssige Wiese hinab auf einen Teich in Form einer Acht. Dahinter führt ein von kleinen Lampen gesäumter Weg aus rötlichem Naturstein in den hintersten Winkel des Gartens. Eigentlich seien diese gestalterischen Elemente eher ungewöhnlich, gesteht der 53-Jährige.

 Die Kleingärten in Höhscheid /Neuenhof zählen zu den insgesamt 36 öffentlichen Anlagen in Solingen.

Die Kleingärten in Höhscheid /Neuenhof zählen zu den insgesamt 36 öffentlichen Anlagen in Solingen.

Foto: Hogekamp Lena

Anfang der 90er Jahre bezog der gelernte Betriebswirt eine Wohnung in Nachbarschaft zur Kleingartenanlage Höhscheid / Neuenhof - und pachtete dort kurz darauf die eigene Grünfläche. "Als ich ins Tal blickte, dachte ich, es wäre schön, einen Garten zu haben, in dem man grillen kann", erinnert sich der Familienvater, der sich später dem Vorstand des Stadtverbandes der Kleingärtner anschloss.

 Einst dienten die Parzellen in erster Linie der Selbstversorgung. Heute sind sie in erster Linie Rückzugsorte.

Einst dienten die Parzellen in erster Linie der Selbstversorgung. Heute sind sie in erster Linie Rückzugsorte.

Foto: Hogekamp Lena

Einen Bezug zum Kleingarten hat Zensen jedoch schon seit seiner eigenen Kindheit - "durch meine Großeltern", erzählt er. Die seien gegen Ende des Zweiten Weltkrieges aus Ostpreußen gekommen und mussten in schwierigen Zeiten eine große Familie durchbringen. Der Kleingarten befriedigte dabei zunächst nicht nur das Bedürfnis nach Gemütlichkeit, sondern erfüllte auch einen ganz praktischen Zweck: "Er diente der Selbstversorgung", sagt Zensen, "und die Kartoffel war dabei das Hauptanbauprodukt".

Im Leben seiner Großeltern nahm die Parzelle offensichtlich einen wichtigen Platz ein. Mitunter hätten sie sogar dort übernachtet, berichtet der Enkel. Mein Opa war Maurer und hat sogar einen kleinen Keller angelegt, der später zugeschüttet werden musste", erzählt Zensen. Er selbst habe dort im Vorschulalter fast täglich gespielt - und buchstäblich mit allen Sinnen bleibende Eindrücke aufgesogen: "Den Geschmack der frisch geernteten Kartoffeln werde ich nie vergessen", sagt er - und baut auf rund zehn Quadratmetern des eigenen Gartens selbst Erdäpfel an. Zusätzlich gedeihen rund um die Laube Äpfel, Mirabellen, Pfirsiche, Weintrauben, aber auch Kräuter und Salat.

Und auch die nächste Generation hat der Kleingarten schon geprägt: "Meine Kinder sind hier groß geworden, haben hier teilweise ganzen Sommer hindurch gemeinsam mit anderen Kindern gespielt", erzählt er. Der Umgang mit dem Kleingarten habe sich dennoch grundlegend gewandelt: Angesichts vielfältiger Freizeitbeschäftigungen sei die Parzelle nicht mehr der Lebensmittelpunkt wie vielfach bei früheren Generationen. "Einige werden jedes Jahr neu vermietet", berichtet Zensen. Letztlich siege bei manch einem grillfreudigen Städter mit Interesse an einem Zugang zur Grünfläche die Einsicht, dass eben doch der grüne Daumen fehle: "Es gibt Pächter, die sind vielleicht zweimal im Jahr auf ihrer Anlage", erklärt er.

Die Sozialstruktur habe sich verändert. 25 Prozent der Kleingärtner seien Akademiker. Menschen aus einkommensschwachen Haushalten, die sich durch die günstigen Preise für den eigenen Garten angezogen fühlen, gebe es kaum noch. Auch den klassischen Zusammenhalt in den Vereinen, bei denen einst jeder etwas zur gemeinschaftlichen Feier mitbrachte, beobachte man immer seltener - trotz aller modernen Kommunikationstechnologie. An ihr lässt sich der Gegensatz zwischen alten Regeln und modernen Gepflogenheiten besonders gut ablesen: "Das Aufstellen einer Satellitenschüssel ist nach wie vor verboten", betont Zensen. Schließlich dürfe die Kleingartenanlage nicht den Charakter einer Wochenend-Haus-Siedlung erhalten. Ein Internetzugang mittels mobiler Geräte ermöglicht es aber dennoch vielen "Laupenpiepern", auch an ihrem Rückzugsort neueste Nachrichten zu erfahren oder Fußball zu gucken.

Doch auch wenn sich Zeiten und menschliche Gewohnheiten ändern: Auch für den an sich überaus reiselustigen Holger Zensen ist der Kleingarten noch immer ein Ort, an dem er auch mal einen ganzen Tag verbringt: "Manchmal kommt man an einem freien Tag, um ein paar Kleinigkeiten zu erledigen, trifft die Nachbarn, unterhält sich, und bleibt schließlich bis in den Abend."

(RP)
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