Remscheid Aus dem Jugendarrest zum Tafel-Dienst

Remscheid · Jugendliche leisten Sozialstunden bei der "Tafel". In der neuen Kooperation sehen sich beide Seiten als Gewinner.

 Daniel Enzmann, Sandra Kubiak und Dr. Wolfram von Borzeszkowski (v.l.) sehen viele positive Effekte, wenn die Insassen der Jugendarrestanstalt bei der Remscheider Tafel helfen. So helfen sie beim Auf- und Abladen der Lebensmittel.

Daniel Enzmann, Sandra Kubiak und Dr. Wolfram von Borzeszkowski (v.l.) sehen viele positive Effekte, wenn die Insassen der Jugendarrestanstalt bei der Remscheider Tafel helfen. So helfen sie beim Auf- und Abladen der Lebensmittel.

Foto: Michael Schütz

Schon mittags flossen bei Johnathan B. (Name von der Redaktion geändert) die Tränen. Da saß der 17-Jährige in der Jugendarrestanstalt in Lüttringhausen und blickte auf sein junges Leben zurück. "Da habe ich gemerkt, dass vieles schief gelaufen ist und ich mir die Dinge anders vorgestellt habe", sagt der 17-Jährige. Wegen Körperverletzung hat ein Jugendrichter ihn verurteilt zu einem Anti-Aggressions-Training und 140 Sozialstunden. Die Auflagen des Gerichts hat er nicht erfüllt. So musste er zwangsweise einen 12-tägigen Aufenthalt hinter Mauern antreten. Da er sich schnell als ein zuverlässiger Junge zeigte, bekam er kurzfristig die Möglichkeit, bei der Remscheider Tafel in Lennep zu arbeiten. Dienst am Gemeinwohl. Von 7.30 Uhr bis 13 Uhr ist er im Einsatz. Er hilft den Fahrern der Tafel beim Aufladen und Abladen der Waren an den Supermärkten. Johnathan B. ist einer von mehreren Anstaltsinsassen, die von der neuen Zusammenarbeit mit der Tafel profitieren sollen.

Seit März besteht die Kooperation. Beide Seiten sehen sich als Gewinner. "Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir von den jungen Menschen unterstützt werden", sagt Sandra Kubiak, Geschäftsführerin der Tafel. Drei Laster schickt der Verein täglich auf Tour. 40 Sammelstellen, von der kleinen Bäckerei bis zum Supermarkt, fahren sie wochentags an. Da ist jede helfende Hand willkommen.

"Zu uns kommen keine schweren Straftäter, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss", sagt Richter Dr. Wolfram von Borzeszkowski, der die JAA leitet. Die Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren haben Dummheiten begangen, wie man so sagt. Dazu zählen Schwarzfahren, Drogenprobleme, Körperverletzung, Schulverweigerer oder Bußgelder nicht bezahlt. Die Urteile liegen alle unterhalb der Jugendstrafe. Sie finden später keine Erwähnung im polizeilichen Führungszeugnis und müssen bei Vorstellungsgesprächen nicht erwähnt werden. Der Gedanke der Erziehung steht im Vordergrund. "Die Jugendlichen bekommen eine Auszeit, um darüber nachzudenken, wie es weitergehen kann", sagt Sozialarbeiter Daniel Enzmann.

Wenn abends um 17 Uhr sich der Schlüssel in den Arresträumen (nicht "Zellen") herumdreht, dann verwandelt sich manch starker Junge in ein kleines Kind, das sich nach Mama und Papa sehnt. "Die sind alle zuerst mal tief beeindruckt", sagt Dr. Wolfram von Borzeszkowski.

Tief beeindruckt geben sie sich auch von der Arbeit für die Tafel. Die Konfrontation mit Armut und Menschen vom Rande der Gesellschaft hinterlässt Spuren bei den Jugendlichen. Das hat jedenfalls Sandra Kubiak beobachtet. Zum einen sehen sie, in welche Sackgasse das Leben führen kann, zum anderen erfahren sie, dass ihre Arbeit bei der Tafel sinnvoll ist und ihre Hilfe gebraucht wird. In zehn Tagen lässt sich kein junger Mensch umerziehen. Aber er kann die Weichen neu stellen und darüber nachdenken, ob er sich nicht lieber von seiner Clique fernhält oder den Wohnort wechselt. Johnathan B. ist am Montag wieder auf freiem Fuß. Von den 140 Sozialstunden hat er einen Großteil abgearbeitet. Das Anti-Aggressionstraining will er absolvieren. Und eine Lehrstelle zum ersten August hat er in der Tasche. Vielleicht wird man ihn an der Tafel wiedersehen. Nicht als Insasse der Arrestanstalt, sondern als Helfer. Interesse hat er jedenfalls bekundet.

(RP)
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