Rp-Serie Die Spezialisten Wenn der Klinikaufenthalt verwirrt

Ratingen · Vor allem ältere Patienten leiden unter einer Erscheinung, die "Delir" genannt wird. Sie zu bekämpfen, ist kompliziert.

Ansgar Keller ist Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin im Ratinger St. Marienkrankenhaus.

Ansgar Keller ist Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin im Ratinger St. Marienkrankenhaus.

Foto: Achim Blazy

Ratingen "Wohltuende kleine Spritze, blauer Traum, Operation vorbei, nix gemerkt, Tiger gesund" so nett fabuliert Janosch in einem Kinderbuch. Da geht es um den kleinen Bär, der seinem Freund Tiger mit dem verrutschten Streifen hilft. Das steht in einem Kinderbuch. Im medizinischen Leben geht es meist nicht so flott voran, und im Krankenbett hat der Patient meist heftiger mit dem blauen Traum und all den anderen Unwägbarkeiten zu tun. "Gut, wenn man das schon vor einem stationären Aufenthalt weiß", meint Dr. Ansgar Keller, Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin im Ratinger St. Marienkrankenhaus.

Es ist eine Erscheinung - Delir genannt - die vornehmlich Menschen im Alter von mehr als 65 Jahren trifft. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl von Patienten mit einem Delir verdoppelt. Dennoch: Delir hängt nicht unbedingt mit einer Narkose zusammen, wie oft angenommen wird. Die betroffenen Patienten sind nicht etwa betrunken, sind dennoch oft orientierungslos, oft motorisch sehr aktiv oder völlig apathisch oder scheinen "durchzudrehen".

Wenn dann die Angehörigen meinen, dass "die Oma in der letzten Zeit immer mal wieder so durch den Wind war", tun sie ihr wahrscheinlich Unrecht. Die alte Dame ist auch nicht unbedingt plötzlich von einer Demenz gepackt worden - sie hat ein Delir. Bei einer fahrlässigen Diagnose könnte man von einem "Durchgangssyndrom" sprechen - einer eher abschätzigen Bezeichnung.

Der Zustand, so bestätigt Keller, kann sich von wenigen Tagen bis zu, vorsichtig geschätzt, zweieinhalb Jahren halten. Letzteres gilt allerdings hauptsächlich für Patienten mit einer Komplikation auf der Intensivstation.

Delir muss nicht kausal mit einer Narkose zusammengehen, die natürlich auch viele Ältere bekommen. Auch Patienten auf der Inneren Abteilung können ein Delir haben.

Es ist allerdings nicht medikamentös zu beseitigen. Oft sind Medikamente ein Teil des Problems, das überaus vielschichtig ist. Wenn ein Patient jenseits der 65 zu einem notwendigen stationären Aufenthalt ins Krankenhaus kommt, ist seine Welt auf einen Schlag total verändert: Die Umgebung ist nicht seine, das Personal kennt er nicht, die Diagnose ist vielleicht nicht durchschaubar, die Mahlzeiten und ihre Zeiten sind ungewohnt, die Besucher kommen in größeren Gruppen. Und ein bisschen fürchten darf man sich auch noch zum Beispiel vor einer Hüftoperation.

Dann werden zusätzlich zu den Arzneimitteln, die schon zu Hause eingenommen werden, noch weitere verordnet, Brille, Hörgerät und die Zahnprothese liegen an anderen Orten als zu Hause, im Krankenzimmer ist es zu laut, zu heiß, zu kalt. Dazu kommt dann der chirurgische Eingriff, der einem Körper, vor allem einem älteren, noch einmal eine Menge abverlangt: Aufmerksamkeit und Wachheit sind eingeschränkt.

Umfassende Forschung zum Thema Delir gibt es, klare Handlungsanweisungen fehlen noch. Dennoch ist es erkannt und aktuell betroffenen Patienten soll schließlich auch schon das Leben erleichtert werden. So gibt es seit drei Jahren an der Universitätsklinik Münster die Stabsstelle "Demenzsensibles Krankenhaus", die sich die Uni eine halbe Million Euro pro Jahr kosten lassen kann. Auch Mediziner aus dem eigenen Haus waren der Auffassung, dass die festzustellende Verwirrtheit schon nach ein paar Tagen in den eigenen Wänden wieder vorüber sei.

"Im St. Marienkrankenhaus wird so viel an begleitenden Maßnahmen geleistet wie möglich - ein derartig vielschichtiges Krankheitsbild erfordert immerhin eine große Zahl von Fachleuten", erklärt Keller, "vom Apotheker für die Begutachtung der Medikamente über die geriatrische Pflegefachkraft bis hin zu all den Ärzten, die ohnehin mit dem Fall betraut sind".

Um die Faktoren zu begrenzen, die ein Delir mit verursachen, wird zum Beispiel vor einer Narkose keine Beruhigungstablette mehr verabreicht - wie früher - und wird eng mit den Angehörigen kommuniziert, die über den Patienten berichten können - und die ihn auch dann nicht "abschreiben", wenn er nach dem Krankenhausaufenthalt noch nicht mehr ganz so ist, wie er war. Oder, wie sie ihn gern hätten.

(gaha)
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