Michael Anhut Warum religiöse Menschen die Kirche verlassen

Ratingen · Der 56-jährige Diakon sieht in diesem Schritt keinen Verzicht auf Religion, sondern eine Abkehr von einer Institution.

 Michael Anhut in "seiner" Kirche St. Maximin in Düssel (Wülfrath).

Michael Anhut in "seiner" Kirche St. Maximin in Düssel (Wülfrath).

Foto: D. Janicki

Die Zahl der Kirchenaustritte ist so hoch wie nie. Woran liegt´s?

Anhut Der Kirchenaustritt ist ja nur der letzte Schritt einer persönlichen Entwicklung. Am Anfang steht in der Regel eine Entfremdung. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Menschen und reichen von Unverständnis über persönlichen Ärger mit "Gottes Bodenpersonal" bis zu äußeren Anlässen wie die entsetzlichen Missbrauchsfälle und den Umgang mit Geld.

Wird Religion verzichtbar?

Anhut Ich sehe darin keinen Verzicht auf Religion, sondern eine Abkehr von einer Institution, die mir nichts mehr zu sagen hat oder mit der ich nichts mehr zu tun haben will. Ich kenne viele religiöse Menschen, die ihrer Kirche den Rücken zugewandt haben.

Könnte Kirche nicht helfen, zu mehr Gelassenheit zurückzufinden?

Anhut Auch Kirche kann die Zeit nicht anhalten. Aber wir können zu einem Bewusstsein einladen, das Fragen nach dem "Wo komme ich her - wo gehe ich hin - wozu bin ich hier" wieder in den Blick nimmt. Das zu einem anderen Umgang mit der uns zur Verfügung stehenden Lebenszeit einlädt und uns daran erinnert, dass wir Menschen ein Ziel bei Gott haben.

Scheidungen, Homosexualität, Kopfschütteln über den Zölibat: Auch im Kreis Mettmann sieht die Lebensrealität vieler Menschen anders aus als von der Katholischen Kirche propagiert.

Anhut Wegweiser sind ja dazu da, um Menschen einen Weg zum Ziel zu weisen. Das heißt nicht, dass es nicht auch andere Wege gibt - und wenn ich mich in einer Gegend auskenne, fahre ich auch mal Schleichwege. Fahre ich mich dann aber fest, werde angehalten, verletze ich jemanden oder komme nicht an, muss ich das auch selbst verantworten. Die Ausrede "Das machen doch alle" hilft dann nicht weiter.

Lassen sich "Wegweisungen von oben" denn eigentlich noch durchhalten?

Anhut Jesus war oft mit den Menschen auf Schleichwegen im Gespräch, vielleicht stünde uns als Kirche das auch ganz gut. Menschen auf ihre Sexualität, Beziehungsform oder andere Teilaspekte zu reduzieren und zu bewerten, sollte nicht unser Stil sein.

Ein Pastor sagte kürzlich, die Kirche denke mit Blick auf Veränderungen in Jahrhunderten. Glauben Sie, dass noch so viel Zeit bleibt?

Anhut Wer den Zeitgeist heiratet, ist morgen schon Witwer. Ich mag an meiner Kirche, dass sie nicht jedem Trend hinterherläuft. Dadurch wirkt sie natürlich auch schwerfällig. Die Gewissensnöte, die ich Menschen in ihren vielleicht nicht kirchenkonformen Lebenssituationen zugestehe, muss ich aber auch den Bischöfen auf der Suche nach neuen Wegen zugestehen, die ja immer auch Gottes Wege sein müssen.

Womöglich schafft sich die Katholische Kirche durch ihre Schwerfälligkeit selbst ab?

Anhut Gerade durch ein Verlassen von Gottes Wegen schafft Kirche sich selber ab, sie verliert ihren originären Sinn. Was ich mir statt Schnelligkeit im Wandel wünsche, ist ein liebevollerer menschlicher Umgang gerade mit solchen Menschen, die nicht dem kirchlichen Idealbild entsprechen.

SABINE MAGUIRE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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