An(ge)dacht Tiefe Wurzeln, weite Äste

Ratingen · Eine alte Blutbuche füllt unseren Gemeindegarten. Mit ihrer tiefroten Färbung, ihren weiten Ästen und ihrem kräftigen Stamm fasziniert sie mich; ihre Ruhe, ihre Kraft. Doch so war sie nicht immer. Vor einiger Zeit bekomme ich ein Foto aus dem Jahr 1977 zu Gesicht. Ich staune. Das soll unser Baum sein?! Auf dem Foto sehe ich eine schmächtige, schmale, unsichere kleine Buche. Dieselbe Buche, nur 40 Jahre jünger. Da scheint sie noch nicht mal recht zu wissen, ob sie wirklich richtig steht in unserm Gartenbeet. Was ist in den letzten vier Jahrzehnten aus diesem Bäumchen geworden! Jede kleinste Unsicherheit ist gewichen. Heute strahlt sie ohne Worte aus, was Martin Luther einmal in Worms gesagt hat: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" - tief verwurzelt, weit verzweigt.

Mehr noch: Aus dem unsicheren kleinen Bäumchen ist inzwischen ein Zuhause für andere geworden. Hektische Taubenpärchen, listige Elstern, scheue Eichhörnchen, emsige Amseln, Rotkelchen, Kohlmeisen und Katzen gehen und fliegen ein und aus.

Nicht zu vergessen die vielen Menschen, die in all den Jahren unter den Ästen vor Sonne und Regen Schutz gefunden haben. Aus dem kleinen Bäumchen ist ein tragfähiges Zuhause gewachsen.

Jesus hat mal ganz ähnliches von einem Leben gesagt, das aus dem Glauben gelebt ist: Es gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und in seinen Garten säte; und es wuchs und wurde ein Baum, und die Vögel des Himmels wohnten in seinen Zweigen. (Lukas 13,19) Aus einem kleinen Senfkorn, das mal eben weggepickt werden kann, wird ein tragender Baum für alle Vögel. Das biblische Bild meint: Hier entsteht ein Zuhause für die Nahen und die Fernen; ein Baum, der den unterschiedlichsten "Vögeln" ein Zuhause bietet; der Vielfalt nicht nur aushält, sondern auch beherbergt.

So viel Kraft steckt im Vertrauen auf Gott, der uns liebt. Jesus sagt: Menschen, die sich von Gott geliebt wissen, haben eine Festigkeit und Weite in ihrem Leben, die erstaunlich vieles tragen und beherbergen kann. Warum? Eben weil sie Gott in der Bibel sagen hören: Ich liebe dich (1. Johannes 4,9). Gottes Liebe ist tief und weit, nicht flach und eng. Und darum macht sie Menschenherzen tief und weit, nicht flach und eng. Und so wird mir die alte Buche zu einem Bild für ein Menschenherz, das aus der Liebe Gottes lebt.

(RP)
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