Ratingen Ein unvergesslicher Moment

Düsseldorf · Beim Projekt "Living History" im Stadtarchiv lernen Jugendliche Geschichte einmal ganz anders kennen. Jetzt erzählten ihnen sieben Ratinger, wo und wie sie den Fußball-WM-Sieg von 1954, das "Wunder von Bern", erlebt haben. Die Schüler erarbeiten daraus ein Rollenspiel.

Das Wunder von Bern – noch heute träumen viele Deutsche von dem berühmten Endspiel, bei dem Deutschland neun Jahre nach Kriegsende überraschend Weltmeister wurde. Hans Schumacher war damals in Bern live dabei. Jetzt berichtete er Schülern des Innenstadt-Gymnasiums, wie er das Spiel erlebte, wie spannend es war und wie stolz die Deutschen auf ihre Mannschaft waren. Doch Hans Schumacher war nicht allein ins Stadtarchiv gekommen. Mit dabei waren sechs weitere Ratinger, die sich noch gut an das Spiel und das Leben damals erinnern können und ihre Erlebnisse und Eindrücke teilen wollen.

Café Rückblick

Genau darum geht es in dem Projekt "Living History", das Walburga Fleermann-Dörrenberg mit Lehrer Georg Cremer gerade im Ratinger Stadtarchiv auf die Beine stellt. Jeden Mittwochnachmittag treffen sich die Schüler und beschäftigen sich ausführlich mit dem Jahr 1954. Ihre Aufgabe: Ein eigenes Rollenspiel zu erarbeiten, in dem sich Ratinger während des Endspiels 1954 in einem fiktiven Café treffen und darüber berichten, wie es ihnen seit der Machtergreifung Hitlers ergangen ist. Um dieses Rollenspiel möglichst realitätsnah inszenieren zu können, brauchen die Schüler natürlich jede Menge Informationen über die damalige Zeit und hatten sich deshalb einen ganzen Fragenkatalog ausgedacht. Die Zeitzeugen hatten also viel zu beantworten. Gudrun Bisani, Gerhard Filgers, Helmut Pfeiffer, Hans Schumacher und die Brüder Heinz und Gerd Schlepütz schilderten den Jugendlichen eindringlich, wie es damals in Ratingen aussah und wie sie die WM erlebten. Helmut Pfeiffer saß damals im heutigen Brauhaus. Dort hatte er einen Tisch reserviert und das Spiel gesehen. "Anschließend sind wir stolz nach Hause gegangen und die Stadt war richtig voll", erinnert er sich. "Die Leute hatten auf einmal einen ganz anderen Gesichtsausdruck, es war einfach klar, dass etwas Gutes passiert war."

Neun Jahre nach Kriegsende waren in Ratingen die Spuren der Zerstörung noch deutlich zu sehen. "Es gab noch richtige Trümmergrundstücke", so Heinz Schlepütz. Auch im Ausland waren die Deutschen verständlicherweise nicht gern gesehen. "Wir fühlten uns alle so klein mit Hut", erzählt Gudrun Bisani. Nach dem Sieg von Bern habe sich das etwas geändert. "Da war man wieder wer."

Gerhard Filgers sah das Endspiel damals in Bochum. Er stand mit vielen anderen vor einem Schaufenster und zitterte mit. "Da wurde auf einmal wieder die Flagge gezeigt, was nach dem Krieg eigentlich verpönt war." Eine weitere Anekdote: Der euphorische Kommentator bezeichnete Torhüter Toni Turek als Fußballgott, was die Kirche auf den Plan rief. Dieser Vergleich sei Gotteslästerung und wurde anschließend aus allen Aufzeichnungen verbannt. "Damals hatte die Kirche noch viel mehr Einfluss als heute."

Was die Schüler sonst noch von den Zeitzeugen herausfanden, beispielsweise über das Benefizspiel im Ratinger Stadion, werden sie wohl in ihr eigenes Theaterstück einarbeiten.

(RP)
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