Ratingen Dienerin zweier Herren

Ratingen · Diplomdolmetscherin Maria Sandschneider-Melcher wurde von der IHK für 25-jähriges ehrenamtliches Engagement als Prüferin ausgezeichnet. Sie hat bereits bei Treffen mit Gorbatschow und Putin übersetzt.

 Maria Sandschneider-Melcher mit der Gold-Auszeichnung der IHK Düsseldorf.

Maria Sandschneider-Melcher mit der Gold-Auszeichnung der IHK Düsseldorf.

Foto: dietrich janicki

"Ein Vierteljahrhundert bin ich im Dienste der Völkerverständigung tätig", umschreibt sie, was ihr diese Ehrung bedeutet. Und ist mitten im Thema. "Der Dolmetscher ist ein notwendiges Übel", als Vermittler zwischen zwei Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen, aber dringend miteinander kommunizieren müssen. "Wenn die beiden nicht merken, dass sie quasi über Eck miteinander reden, war ich erfolgreich."

Als "Diener zweier Herren" ist für sie nicht nur wichtig, sich bei Vokabeln und Grammatik bestens auszukennen. Beim "ständigen Streben nach Perfektion" bereitet sich die 59-Jährige akribisch vor. Kommt ihr Auftraggeber aus der Architekturbranche, paukt sie entsprechende Termini des Bauwesens. Geht es um ein Thema aus der chemischen Industrie, recherchiert sie entsprechende Vokabeln. "Als Dolmetscherin bin ich kein zweibeiniges Wörterbuch", schränkt sie ein. Selbst ihr passiert es mitunter, ein Wort nicht zu wissen oder den Sinn eines Begriffs nicht zu erfassen. "Ein spannender Aspekt meines Berufs ist dann zu erschließen, welcher Begriff gemeint sein könnte. So kann im russischen "Schönheit" als Gegenpol zu Hässlichem abstrakt verstanden werden. Aber ebenfalls als Synonym für den Sammelbegriff, unter den verschiedenste Schönheiten subsumiert werden. Da lag sie mal prompt falsch. "Der Lapsus fiel aber nicht auf." Zu einer echten Lachsalve aber animierte die Frau, zu deren Stärke neben den enormen Sprachkenntnissen vor allem die Beherrschung der Etikette zählt, der Begriff "Winterweizennacktsaatgut". "Ich konnte mich bei diesem Wortungetüm nicht beherrschen. Denn ich stellte mir vor, wie den nackten Samenkörnern eine Pelzstola umgelegt wird."

Auf die Idee, russisch zu lernen, kam die junge Maria Sandschneider-Melcher durch ihren Vater. "Er war Neuphilologe und kehrte im Oktober 1955 aus russischer Gefangenschaft zurück." Mit in kyrillischer Schrift verfassten Büchern. "Wer soll die lesen, wenn es Dich nicht mehr gibt?", fragte sie ihren Vater. "Russisch lernen zu wollen, ist eine Totgeburt", entgegnete der. Am Gymnasium besuchte Maria die Russisch-AG, studierte später an der Universität Heidelberg. Offensichtlich mit so viel Erfolg, dass sie ein viermonatiges Stipendiat nach Moskau führte. "Das war auch deshalb eine Sensation, weil es nicht vielen Sprachstudenten aus dem kapitalistischen Ausland angeboten wurde." Ein Namensschild in kyrillischen Buchstaben aus dem Moskauer Studentenwohnheim sowie ihr Leseausweis für Saal 1 der Lenin-Bibliothek sind ansehnliche Dokumente dieser Phase. Nach dem Examen ging es Schlag auf Schlag. Mit den Großen der Welt saß sie zusammen, um zu übersetzen. "Der Dolmetscher darf nicht zensieren und ist der Wahrheit verpflichtet."

"Professionalität heißt, unabhängig von Person und Amt zu arbeiten. Es geht um die Sache." Zwischen den Zeilen lesen zu können, also diplomatisches Gefühl zu haben, ist ebenfalls unabdingbar. Geduld und Ausdauer gehören bei achtstündigen Gesprächsmarathons und Abendessen ebenfalls dazu. Während die anderen gemütlich essen, sitzt der Dolmetscher in der zweiten Reihe.

"Die Verantwortung, die man trägt, ist toll. Und am schönsten ist, wenn Protokolle unterschrieben oder Verträge unterzeichnet werden." Über ihre Begegnungen mit den berühmten Staatsleuten und deren Ehepartnern könnte sie sicher unendliche Geschichten berichten. Ein Teil der Promis, denen sie begegnete, ist mit persönlicher Korrespondenz in einem dicken Album abgeheftet. Das zeigt sie gerne. Aber mehr auch nicht.

Übt die Hobby-Pianistin Maria Sandschneider-Melcher, die seit 30 Jahren in ihrem "geliebten Hösel" lebt, auf dem Cross-Trainer, hört sie Features oder Berichte - auf Russisch.

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