Hösel Bravo, Herr Doktor

Düsseldorf · Der Radiologe, Gesangvirtuose und Komödiant Engelbert Decker bescherte den Gästen des Höseler Kulturkreises mit Texten und Liedern von Kurt Tucholsky eine Sternstunde. Ebenfalls unverzichtbar: Gero Meißner am Piano.

"Erwarte nichts. Heute: das ist das Leben" lautete die Maxime von Kurt Tucholsky, aber seine Erkenntnis als größter Gesellschaftskritiker des 20. Jahrhunderts war letztlich "Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und zu sagen 'Nein'". Diesem Neinsager, Satiriker, Kabarett- und Romanautor, Liedtexter, Lyriker, bedeutendsten Publizisten und Journalisten der Weimarer Republik setzt die literarische Welt in diesem Jahr zu seinem 120-jährigen Geburtstag zahlreiche Denkmäler . Ein herausragend amüsantes Denkmal aus Bausteinen von Ideal und Wirklichkeit in Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung schufen zwei Ausnahmetalente im Kulturkreis Hösel. "Einfach brillant, eine Sternstunde innerhalb der hohen Schule der kleinen Kunst", urteilte Vorstandsmitglied Regine Walther und traf damit ins Schwarze.

Engelbert Decker, tagsüber praktizierender Radiologe und in seiner Freizeit ausübender studierter Gesangvirtuose und Komödiant, gelang mit seinem pianistischen Begleiter in Auswahl und Interpretation ein niveauvolles komödiantisches Paradestück im Dreiklang von Vita, Texten und Chansons. Wobei sich der hochgewachsene Decker in Gestik und Mimik als galanter und genialer literarischer Kabarettist erwies. Er stellte sich nicht hinter das Wort, sondern ließ es gekonnt in seine Körpersprache bis in die Zehen- und Fingerspitzen einfließen, wenn erforderlich elegant oder gar linkisch. Schon in seinem schwarzen Dress mit Hemd, Weste und Arbeiterkappe symbolisierte der Künstler Tucholskys große Liebe zu den kleinen Leuten, den Außenseitern der Gesellschaft. Er, der selbst ein Außenseiter war, dessen Texte heute so aktuell sind wie eh und je.

Held der Frauen

Geschickt setzte Decker in die Vita des 1890 in Berlin geborenen und meist in Frankreich oder Schweden lebenden Publizisten ausgewählte Texte ein. So skizzierte er Tucholsky als ausgesprochenen Frauenhelden mit dem Hang zur Vielweiberei in köstlichen Persiflagen, rezitierte auch berühmte Schnipsel: "Wenn die Amerikanerin so lieben könnte wie die Deutsche glaubt, dass die Französin es täte, dann hätte die Engländerin einen herrlichen Anlass sich zu entrüsten." Mit voluminösem Bassbariton intonierte das Multitalent berühmte Chansons à la "Zieh dich aus, Petronella". Als Highlight gestaltete der Komödiant das "Colloquium in Utero" als höchst amüsantes Zwiegespräch zwischen einem männlichen und weiblichen Embryo. Da waren die ersten Bravi fällig an einem Abend der heiteren Töne auf hohem Niveau, für den sich die begeisterten Zuhörer mit frenetischem Applaus bedankten.

(RP)
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