An(ge-)dacht Blicke in den Herbsthimmel lehren das Sehen

Ratingen · Hätte ich bei der Vergabe der Termine für diese Kolumne doch bloß besser aufgepasst.

Die dankbaren Aufgaben kommen erst noch in den nächsten Wochen: Allerheiligen, St. Martin, Advent - da kann der Theologe aus dem Vollen schöpfen. Aber dieser Sonntag jetzt, er hat so gar kein Thema, dass sich anbietet.

"Schreib doch was über den Herbst, Herbst geht immer", meint Jürgen. Er ist Lehrer und weiß zu allem etwas zu sagen: "Herbst, das sind leuchtende Farben, bunte Blätter, Kastanien und so!"

Jürgen hat das Ende der Herbstferien fest im Blick und ist zu nichts zu gebrauchen. Außerdem ist er erkältet. Kastanien... An(ge)dacht hat einen religiösen Anspruch, zwar unaufdringlich, aber doch schon.

Der Wind dreht den Postkartenständer vor der Buchhandlung. Auf einer Karte steht: "Der Herbst ist ein zweiter Frühling, wo jedes Blatt zur Blüte wird."

Kann man wohl so sagen. Seine unglaubliche Farbenpracht legt es jedenfalls nahe. Hausmeister mit Laubsaugern werden das jetzt anders sehen, aber der Kartenspruch erinnert schon daran, dass wir in Deutschland ziemlich viel Glück haben mit dem Wechsel der Jahreszeiten. Eine Schule des Sehen-Lernens. Und wenn man so will, sieht man Gottes Freundlichkeit selten so deutlich wie im Wechsel dieses Farbenspiels. Gott begegnet uns in dem, was wir sehen. Sehen ist mehr, als nur das wahrzunehmen, was wir mit den Augen erblicken. Sehen meint auch den andern und sich selbst verstehen zu lernen: die Menschen nebenan, die Häuser und Gärten, die Tiere, Wiesen und Hügel, den Park und die Bäume, die Sonne, den Regen, die Wolken und die Farben des Himmels.

Ist wohl so: Wer das Leben ermessen, verstehen - lernen will, sollte ab und zu zum Himmel hinaufschauen.

PFARRER ULRICH KERN, PFARRE HEILIG GEIST

(RP)
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