Ratingen Babyglück trotz schwerer Krankheit

Ratingen · Thira Brhane floh mit ihrer Familie vor der Diktatur ihres Heimatlandes Eritrea nach Deutschland. Erst unterwegs erfuhr sie, dass sie akut nierenkrank ist - und in der achten Woche schwanger. Behandelt wird sie im Ratinger Dialysezentrum.

 Thira Brhane im Dialysezentrum mit ihrem Lebensgefährten Mussi und Söhnchen Temesgen, der bei seiner Geburt vor drei Wochen 2100 Gramm wog und 47 cm maß. Betreut wird sie von Nierenarzt Winfried Kösters.

Thira Brhane im Dialysezentrum mit ihrem Lebensgefährten Mussi und Söhnchen Temesgen, der bei seiner Geburt vor drei Wochen 2100 Gramm wog und 47 cm maß. Betreut wird sie von Nierenarzt Winfried Kösters.

Foto: achim blazy

2100 Gramm und 47 Zentimeter - gerade so viel wiegt und misst das Glück, das Thira Brhane in den Armen hält. Monatelang hat die 40-jährige Ostafrikanerin um dieses Glück bangen müssen. Denn dass eine Frau mit der Diagnose komplettes Nierenversagen ein Kind austragen kann, und dazu noch ein vollkommen gesundes, sei "eine medizinische Rarität", sagt der behandelnde Arzt, der Düsseldorfer Nephrologe Winfried Kösters.

Kösters ist seit 40 Jahren Nierenarzt. Er weiß, dass nierenkranke Frauen nur ganz geringe Chancen haben, überhaupt schwanger zu werden. Und dass eine solche Schwangerschaft dann meist spätestens in der 20. Woche endet. Als die ohnehin schon von den widrigen Umständen ihrer Flucht schwer gebeutelte Thira Brhane seine Patientin wurde, hat er sich noch einmal der Herausforderung gestellt - mit der unvermeidlichen Blutwäsche (Dialyse) zwei sehr empfindlichen Patienten gerecht zu werden, der Mutter und dem ungeborenen Kind.

"Bei der Reinigung werden Gifte ausgeleitet, aber leider auch Elektrolyte, Vitamine und Hormone, die lebenswichtig sind. Dieser Verlust wird mit Medikamenten ausgeglichen. Weil das Baby nun einmal über die Nabelschnur mit dem Blutkreislauf der Mutter verbunden ist, ist die richtige Dosierung hier keine triviale Sache", erklärt Kösters, der von einem Ratinger Gynäkologen unterstützt wurde.

Die Patientin selbst sei "unglaublich tapfer" und geduldig gewesen, täglich zur Dialyse in das Zentrum im Marienkrankenhaus an der Werdener Straße gekommen, zuletzt fünfeinhalb Stunden pro Tag. Viel Zeit, auch für drückende Gedanken: "Wer stirbt zuerst, mein Kind oder ich", mit dieser Sorge hat sie sich oft an Krankenschwester Tania Gidikas gewandt. Zwischen den beiden ist ein inniges Verhältnis entstanden, auch weil sie sich reibungslos in italienischer Sprache verständigen können - Tania, deren Eltern einst als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, und Thira, die aus einem Land mit italienischer Kolonial-Vergangenheit stammt und weder Englisch noch Französisch, aber Eritreisch und Italienisch spricht. Die Hilfsbereitschaft der Krankenschwester reicht weit über ihren eigentlichen Einsatzort und ihre Dienstzeiten hinaus. Sie war auch dabei, als Thiras Sohn am 26. Februar in der Uniklinik Düsseldorf per Kaiserschnitt auf die Welt kam. Als "tiefgläubige Christin" - Thira Brhane hat immer eine Bibel im Gepäck und besucht jeden Sonntag die orthodoxe Kirche in Solingen - will sie bald ein großes Tauffest feiern und alle beteiligten Ärzte und Schwestern einladen. Sie ist dankbar, dass ihre kleine Familie die Flucht unbeschadet überstanden hat. Mit von der Verwandtschaft gesammeltem Geld sei es mit dem Auto, zu Fuß und schließlich per Schiff über Sudan und Libyen nach Sizilien und von dort nach Deutschland (erst Paderborn, dann Ratingen) gegangen. Sie redet nicht gerne über die widrigen Fluchtumstände, möchte lieber nach vorne gucken. Deutschkurse kann sie derzeit krankheitsbedingt nicht besuchen, da müsste es wohl ein individuelles Training geben. Ihr Lebensgefährte Mussi lernt schon Deutsch und hofft, als Bauarbeiter Geld verdienen zu können. Im repressiv regierten Eritrea habe er zehn Jahre Militärdienst geleistet, die meisten davon unfreiwillig. Zuletzt sei er nicht einmal mehr bezahlt worden, erzählt er.

Mit der Unterstützung von Tania Gidikas ist die kleine Ratinger Wohnung der jetzt vierköpfigen Familie heimeliger geworden, es gibt nun Matratzen statt Matten zum Schlafen. Und noch drei offene Wünsche: einen großen Kühlschrank, damit nicht täglich eingekauft werden muss, ein Kinderbett für die kleine Miriam (3) und einen Maxi-Cosi.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort