Radevormwald Wahnsinn auf und hinter der Bühne

Radevormwald · Das Rheinische Landestheater Neuss war mit der turbulenten Komödie "Der nackte Wahnsinn" von Michael Frayn in Rade zu Gast.

Was für ein furioser Auftakt: Selten wird man als Zuschauer im Theater so direkt mitten ins Geschehen geworfen, wie das beim Gastspiel des Rheinischen Landestheaters Neuss mit der Komödie "Der nackte Wahnsinn" von Michael Frayn im Bürgerhaus Radevormwald der Fall gewesen ist. Das Licht geht aus, Dotty Otley alias Mrs. Clackett (wunderbar schlonzig: Hergard Engert) betritt die Bühne in Haushälterinnentracht. Sie spricht ein wenig Text, irgendetwas mit Sardinen und einem Begräbnis. Dann läutet das Telefon. Ein kurzes Gespräch, sie will ins Arbeitszimmer gehen. Und plötzlich flammen die Saalscheinwerfer auf, die Stimme von Regisseur Lloyd Dallas (kurz vor dem Nervenzusammenbruch: Richard Lingscheidt) ertönt: "Stopp. Nochmal. Und denk an die Sardinen, Dotty!"

Eine vierte Wand zu durchbrechen gibt es bei "Der nackte Wahnsinn" nicht - sie ist dauergeöffnet. Denn das Publikum wohnt der Generalprobe des Ensembles praktisch bei. Schon am nächsten Morgen steht die Uraufführung der neuen Komödie "Nackte Tatsachen" an. Dumm nur, dass weder Text noch Bühnentechnik sitzen und vor allem, dass die schwelenden Konflikte und das amouröse Mit-, Gegen- und Hintereinander zwischen Regisseur, Schauspielern und Bühnenhelfern in Folge der angespannten Situation immer deutlicher zu Tage treten. Der gelungene dramaturgische Kunstgriff sorgt dafür, dass die Zuschauer sprichwörtlich mittendrin sind. Immer mehr ziehen nun Wahnsinn und Chaos in die Probe ein. Als der erste Akt von "Nackter Wahnsinn" mit einem wahren Urschrei von Brook Ashton alias Vicki (Johanna Freyja Iacono-Sembritzki) endet und Regisseur Lloyd "Vorhang!" brüllt, dann passt es perfekt, dass Bühnentechnikerin Poppy (mit dem Wort "Krise" auf dem Pulli: Alina Wolff) zaghaft antwortet: "Vorhang? Haben wir nicht."

Regisseurin Antje Thoms hat den Stoff des Autors und Übersetzers Michale Frayn, den dieser 1982 geschrieben hat, auf eine neonfarben-glitzernde 80er-Jahre-Ebene gehievt. Die wird vor allem durch die Kostüme von Britta Lammers zum Leben erweckt. Etwa Frederick Fellowes alias Philip Bren (herrlich doof: Stefan Schleue), der im ballonseidenen Trainingsanzug und den blondierten Haaren wie aus einem Fitness-Video von Olivia Newton-John entsprungen wirkt. Oder Belinda Blair alias Flavia Brent (unterkühlt-nonchalant: Juliane Pempelfort) in ihrem knallroten Kleid, die wie "Die Frau in Rot" im gleichnamigen Film rüberkommt.

Daneben stellt sich das Auftreten für die Schauspieler als echte Schwerstarbeit heraus. Stellenweise, und das ist der einzige Kritikpunkt an der durchgehend großartigen Darbietung, wird auf der Bühne derart viel geschrien und durcheinandergeredet, dass es nicht ganz einfach für den Zuschauer ist, den Überblick zu bewahren. Da hilft ein Satz von Regisseur Lloyd zumindest kurzfristig weiter: "Wir konzentrieren uns jetzt auf die Türen und Sardinen. Auftritte, Abgänge, Sardinen rein, Sardinen raus. Das ist Theater. Das ist Leben." Und das ist vor allem ein wirklich großartiger Spaß für alle im Publikum.

(RP)
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