Ludger Sändker "Sommerferien sind eine Zeit der Reife"

Radevormwald · Für rund 2130 Schüler in Radevormwald haben die Ferien begonnen. Doch wie wichtig ist die Pause von der Schule? Die BM sprach darüber mit Ludger Sändker, dem stellvertretenden Leiter der Psychologischen Beratungsstelle in Wipperfürth.

Herr Sändker, sollten die Sommerferien Kindern und Jugendlichen ausschließlich als Zeit der Erholung dienen oder dürfen auch Lernblöcke eingebaut werden?

Sändker Ob ein Schüler nun die ganzen Ferien über ausspannen oder in der Zeit auch etwas Vor- beziehungsweise Nachbearbeitungszeit investieren sollte, lässt sich nicht pauschal beantworten. Das ist von Kind zu Kind verschieden und muss individuell abgewogen werden. Tendenziell geht es allerdings darum, dass die Kinder in den Ferien eine Auszeit von der Schule bekommen. Wie lange diese nun andauern muss, hängt von der persönlichen Situation ab.

Warum ist eine Auszeit von der Schule wichtig für die Schüler?

Sändker In dieser Zeit können die Kinder etwas Abstand gewinnen, und dadurch einen veränderten Blick auf die eigene Schulsituation und auf sich selbst erlangen. Es ist ähnlich wie beim Schlaf. Wir verarbeiten dabei die Tagesereignisse und betrachten die Dinge am nächsten Morgen eventuell etwas anders als am Vorabend. Abgesehen davon sind die Ferien eine Zeit der Reife, und zwar nicht nur in der Hinsicht, dass die Schüler neue Lernziele entwickeln und so ihre Verhaltensweisen hin zu mehr Verantwortung anpassen. Lehrer nehmen wahr, dass sich Schüler nach den Ferien verändert, einen Entwicklungssprung gemacht haben, reifer und größer geworden sind, sich anders kleiden, neue Gesten angenommen haben usw.

Bewerten Schüler und Eltern die schulfreie Zeit unterschiedlich?

Sändker Meistens setzen die Eltern mehr Lernziele für ihre Kinder als diese selbst. Für die Schüler bedeuten die Ferien tatsächlich in erster Linie freie Zeit, die Eltern dagegen blicken langfristiger nach vorne, etwa auf den Schulabschluss. Diese "Weitsicht" entwickelt sich bei den Schülern meist erst ab der achten Jahrgangsstufe. Dass Eltern ihre Kinder aber die ganzen Ferien durchlernen lassen, habe ich noch nicht erlebt. Auch die Eltern erkennen an, dass Kinder Zeit zum Abschalten brauchen.

Wie sollten sich Eltern ihren Kindern gegenüber denn verhalten, wenn das Zeugnis nicht so gut ausgefallen ist, wie erhofft?

Sändker Schlechte Zensuren entstehen ja nicht über Nacht. Durch den Kontakt zu den Lehrern oder Frühwarnsysteme wie den "Blauen Brief" erhalten die Eltern bereits vor den Zeugnissen Bescheid, dass es nicht so gut läuft. Wichtig ist zu erörtern, welche Ursachen die schlechten Noten haben.

Welche Ursachen könnten das beispielsweise sein?

Sändker Handelt es sich um plötzliche Leistungseinbrüche, stecken meist emotionale Gründe oder äußere Einflüsse dahinter. Belastende Ereignisse können sein: unerwartete Todesfälle in der Familie, Trennung der Eltern, aber auch die Pubertät mit ihren Belastungsproben. Eltern sollten genau erforschen, welche Ursachen sich dahinter verbergen. Das hat viel mit Zuhören und Wahrnehmen zu tun, nicht mit Deuten. Doch es kommt oft vor, dass Eltern ihre Kinder nicht verstehen. Sie denken, mein Kind ist doch intelligent und begreifen nicht die Zusammenhänge, die zu dem Leistungseinbruch geführt haben.

Und wenn es sich nicht um einen plötzlichen Lerneinbruch handelt?

Sändker Jedes Kind hat sein eigenes Lerntempo. Das lässt sich aber nicht beschleunigen, indem Druck ausgeübt wird. Eltern können ihr Kind nur gut begleiten, und das machen sie, indem sie realistisch überdenken: "Was kann mein Kind leisten?", "Ist die Schule geeignet für mein Kind?", "Wie muss das Lernumfeld aussehen, damit es gefördert, gefordert, aber nicht überfordert wird?"

Wenden sich nach der Zeugnisvergabe vermehrt Schüler oder Eltern an die Psychologische Beratungsstelle, um sich bei Schulproblemen oder Stress zu Hause Rat zu holen?

Sändker Weder kurz nach, noch kurz vor der Zeugnisvergabe. Da die Schulprobleme, wie gesagt, fast immer schon früher bekannt sind, kommen die Anfragen meist etwa ein halbes Jahr vor den Jahresabschlusszeugnissen. Deren Anzahl ist übrigens im Laufe der Jahre relativ konstant geblieben. Auffällig ist dagegen, dass zunehmend viele Oberstufenschüler sich über Stress beklagen. Positiv wiederum: Auch immer mehr Schulverweigerer aus der achten und neunten Klasse finden den Weg zur Beratungsstelle, um aus ihrer Erstarrung herausgeführt zu werden.

BEATE WYGLENDA STELLTE DIE FRAGEN

(RP)
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